Protokoll Nr. 4 und Protokoll Nr. 7 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Nr. 126/2004)
Landtagspräsident Klaus Wanger:
Wir kommen nun zu Traktandum 17: Protokoll Nr. 4 und Protokoll Nr. 7 zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Bericht und Antrag der Regierung Nr. 126/2004 steht zur Diskussion. Landtagsvizepräsident Peter Wolff:
Herr Präsident, meine Damen und Herren, guten Morgen. Ich habe zunächst ein, zwei Fragen zu diesem Bericht: Da lese ich auf den Seiten 6 und 7, dass Liechtenstein im Juli 2004 seinen ersten Länderbericht über die Umsetzung des UNO-Paktes II vorgestellt habe und dass der Menschenrechtsausschuss der UNO Liechtenstein bescheinigt habe, dass die liechtensteinische Rechtslage den im Pakt II enthaltenen Bestimmungen zu einem grossen Teil entspreche. Der Bericht sagt nichts darüber, zu welchem Teil - auch wenn es nur ein kleiner Teil ist - die liechtensteinische Rechtslage diesem Pakt, zu dessen Einhaltung wir uns ja schon vor einiger Zeit verpflichtet haben, nicht entspricht. Das wüsste ich gerne von der Regierung, wo es hier nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses der UNO noch Zweifel gibt oder wo nach deren Ansicht unsere Rechtslage diesen völkerrechtlichen Verpflichtungen noch nicht entspricht. Dann habe ich eine Frage zum Protokoll 4, zur Menschenrechtskonvention, das wir hier ratifizieren sollen, wogegen sicherlich überhaupt nichts einzuwenden ist. Es fällt auf bei der langen Liste der Unterzeichnerstaaten und Vertragsparteien dieses Protokolls in der Beilage 2, dass die Schweiz dieses Protokoll nicht unterzeichnet hat und demzufolge auch nicht Vertragspartei ist. Da darüber im Bericht nichts gesagt wird und wir uns doch sonst bei Beitritt zu völkerrechtlichen multilateralen Verträgen sehr oft nach dem Beispiel der Schweiz orientieren, wüsste ich gerne von der Regierung, ob die Regierung weiss, aus welchen Gründen die Schweiz von einem Beitritt zu diesem Protokoll Nr. 4 bisher Abstand genommen hat. Und schliesslich noch eine Anmerkung zu dem von der Regierung vorgeschlagenen Vorbehalt zum Protokoll Nr. 7: Auch der Beitritt zum Protokoll Nr. 7 stellt wie ich meine für Liechtenstein nicht das geringste Problem dar - und dem ist selbstverständlich zuzustimmen. Die Regierung möchte trotzdem einen Vorbehalt anbringen, nämlich zu Art. 2 dieses Protokolls Nr. 7, indem sie erklären möchte, dass nur die strafbaren Handlungen, die im liechtensteinischen Recht der Zuständigkeit der Strafgerichte unterliegen, als strafbare Handlungen im Sinne von Art. 2 dieses Protokolls 7 anzusehen seien. Die Erklärung dazu auf Seite 19 ist nicht sehr erhellend aus meiner Sicht. Es wird dort einfach sehr kurz gesagt, dass diese Bestimmung in Bezug auf die Definition der strafbaren Handlung auslegungsbedürftig sei, weshalb zur Klarstellung ein solcher Vorbehalt abgegeben werden soll. Ich muss sagen, das verstehe ich überhaupt nicht. Ich sehe hier nichts Auslegungsbedürftiges in diesem Art. 2 Ziff. 1 des Protokolls Nr. 7 zur Menschenrechtskonvention. Es heisst dort: «Wer von einem Gericht wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen». Es geht also mehr oder weniger um das Beschwerderecht für die Fälle, wo jemand von einem Gericht - nicht von einer anderen Behörde, sondern nur von einem Gericht - wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist. Und zu was wir hier sagen müssen, dass es sich für die liechtensteinische Anwendbarkeit nur um strafbare Handlungen handelt, die nach unserem Recht der Zuständigkeit der Strafgerichte unterliegen, ist mir deshalb nicht klar, weil das aus diesem Art. 2 ohnehin schon hervorgeht. Es geht nur um strafbare Handlungen, die von einem Gericht geahndet werden, nicht von jeglicher Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung durch wen auch immer, und es ist ein reiner Pleonasmus, eine reine Verdoppelung und Wiederholung, wenn wir in einem Vorbehalt, der inhaltlich ja eigentlich dann auch gar kein Vorbehalt wäre, erklären würden, dass für uns nur strafbare Handlungen, die nach unserem Recht der Zuständigkeit der Strafgerichte unterliegen, als strafbare Handlungen im Sinne dieses Art. 2 zu betrachten seien. Ich meine, was ist ein Strafgericht, falls es der Regierung auf diese Formulierung ankommt, im Unterschied zum Wort Gericht in dem Protokoll Nr. 7, ein Strafgericht ist ein Gericht, das die Kompetenz hat, Strafen auszusprechen. Das muss nicht unbedingt ein Gericht sein, das nichts anderes macht wie zum Beispiel bei uns das Kriminalgericht oder das Schöffengericht, es kann auch das Landgericht sein; so weit das Landgericht Strafkompetenzen des Strafgesetzbuches - zum Beispiel durch Einzelrichter - oder irgendeines anderen Gesetzes ausübt, ist es eben das Strafgericht. Also jedes Gericht nach unserer Rechtslage, das befugt ist, Strafen auszusprechen, und wogegen selbstverständlich nach unserer Rechtslage immer eine Beschwerdemöglichkeit gegeben ist, ist als Strafgericht anzusehen. Daher sehe ich, wie gesagt, keinen Unterschied im Ergebnis, keinen Unterschied zwischen dem Inhalt dieses Vorbehaltes und dem ohnehin vorliegenden Text von Art. 2 und dieses Protokolls Nr. 7. Daher sehe ich keine rechte Notwendigkeit, einen solchen Vorbehalt anzubringen. Regierungsrat Ernst Walch:
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ebenfalls guten Morgen. Ich sehe, dass es sonst keine weiteren Wortmeldungen bezüglich des gegenständlichen Traktandums gibt. Ich kann also direkt auf die Fragen bzw. Anmerkungen des Landtagsvizepräsidenten eingehen: Zunächst stellt er die Frage, was denn die Teile, welche dem Pakt II entsprechen bzw. wo Fragen bzw. Zweifel entstehen oder entstanden seien beim letzten Länderbericht, als Liechtenstein geprüft wurde. Hierzu kann ich im Namen der Regierung Folgendes ausführen: Es gilt zunächst darauf hinzuweisen, dass der Menschenrechtsausschuss Liechtenstein bis 2009 Zeit gegeben hat, den nächsten Länderbericht einzureichen. Diese lange Frist weist darauf hin, dass er keinen dringlichen Handlungsbedarf sieht. Zum Vergleich: Die Schweiz musste nach der Vorstellung ihres zweiten Länderberichts im Jahre 2001 innerhalb von 12 Monaten einen Folgebericht über die Umsetzung eines Teils der Empfehlungen einreichen. Für die übrigen Empfehlungen wurde ihr - nämlich der Schweiz - ebenfalls eine Frist von fünf Jahren gewährt. In den folgenden Bereichen sieht der Menschenrechtsausschuss im Falle Liechtensteins Verbesserungspotenzial: Einmal die Prüfung der liechtensteinischen Vorbehalte zum Pakt II im Hinblick auf deren mögliche Rücknahme. Dabei handelt es sich um eine Standardempfehlung bei allen Vertragsparteien, welche Vorbehalte machen. Liechtenstein hat zu folgenden Bestimmungen einen Vorbehalt angebracht: Zu Art. 14 Abs. 1 Öffentlichkeit aller Zivil- und Strafverfahren sowie der Urteilsverkündung, Art. 17 Abs. 1 Familienzusammenführung, Art. 20 Verbot der Kriegspropaganda. Dieser Vorbehalt könnte zurückgenommen werden, wenn die bereits bestehenden Bestimmungen als genügend erachtet werden. Dazu wäre meines Erachtens auch keine Anpassung des liechtensteinischen Rechts nötig. Ein weiterer Vorbehalt wurde gemacht zu Art. 24 Abs. 3, Verleihung der Staatsbürgerschaft an Kinder von staatenlosen Eltern. Dieser Vorbehalt könnte allenfalls zurückgenommen werden, wenn eine Lösung für solche Kinder, die in Liechtenstein geboren wurden, gefunden wird. Die entsprechenden Abklärungen im Hinblick auf eine entsprechende Anpassung der liechtensteinischen Rechtslage sind im Gange. Ein weiterer Vorbehalt betrifft die Verbesserung der faktischen Gleichstellung von Mann und Frau bzw. eine verstärkte Einbindung von Frauen in politische Entscheidungsprozesse. Hier geht es in erster Linie darum, die bereits getroffenen Massnahmen weiterzuführen und gegebenenfalls zu intensivieren. Dabei wird der Ausgang der kommenden Landtagswahlen wichtig sein. Ein weiterer Vorbehalt betrifft die Beseitigung der häuslichen Gewalt gegen Frauen und Kinder und Beistand für Opfer. Die Gesetzesanpassungen zum Opferschutz und zur Opferhilfe sind in diesem Zusammenhang wichtig. Weiters betrifft der Vorbehalt oder die Empfehlung Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, insbesondere gegenüber Muslimen. Schliesslich die Bestimmungen betreffend Selbstverteidigung und Gebrauch von Schusswaffen durch Polizeibeamte. Und zuletzt die Rechte von verhafteten Personen und Personen in Untersuchungshaft. Hier geht es um die gesetzliche Festlegung des Rechts auf Aussageverweigerung, umgehende Prüfung der Haftgründe durch einen Richter, sofortiger Zugang zu einem rechtlichen Beistand, Bestimmungen betreffend verschärfte Haft. Hier gibt es wohl den konkretesten Handlungsbedarf. Hierzu gab es auch diesbezügliche Aussagen des Menschenrechtskommissars des Europarates Alvaro Gil-Robles - wenn wir uns richtig erinnern. Mehrere Empfehlungen des Ausschusses beziehen sich auf Verfassungsbestimmungen. Ob auch die Anpassung von Verfassungsbestimmungen erwägt werden soll, ist in erster Linie eine politische Entscheidung. Dabei wird zu berücksichtigen sein, ob es sich lediglich um formelle Anpassungen handelt oder ob damit auch eine Verbesserung der konkreten Situation herbeigeführt werden kann. Hier geht es einmal um die Festlegung des Gleichheitsgrundsatzes für alle Personen, das heisst, auch zwischen liechtensteinischen und ausländischen Staatsangehörigen, es geht um die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht - Stichwort Entflechtung Staat und Kirche - das Notverordnungsrecht, nämlich in Bezug auf die öffentliche Verkündigung eines Notstandes. Schliesslich das Richterbestellungsverfahren, Kriterien für die Bestellung der Mitglieder des Gremiums, Amtsdauerbegrenzung und der Ausschluss von Frauen von der Thronfolge, was eine sogenannte fakultative Empfehlung ist. Der genaue Wortlaut der Empfehlungen kann übrigens heruntergeladen werden. Es geht hier um die Prüfung von Berichten der Vertragsstaaten gemäss Art. 40 des Paktes. Der Menschenrechtsausschuss hat das Dokument ins Internet gestellt, und zwar unter ccpr/co81lie. Dann die zweite Frage betraf die Frage, weshalb die Schweiz noch nicht Vertragspartei des Protokolls Nr. 4 sei: Hierzu kann ich ausführen, dass im Bericht des Bundesrates vom 26. Mai 2004 über die Schweiz und die Konventionen des Europarates Folgendes ausgesagt wurde. Ich zitiere hier eine Stelle: «Der Bundesrat hat wiederholt die Absicht geäussert, diesem Protokoll beizutreten. Die Gegebenheiten des schweizerischen Ausländerrechtes erwiesen sich aber bisher als nur beschränkt vereinbar mit den Garantien des Protokolls, weshalb bis anhin auf einen Beitritt verzichtet wurde. Die neue Ausländergesetzgebung befindet sich immer noch im Stadium der parlamentarischen Beratungen. Sobald die Revision abgeschlossen sein wird, wird der Bundesrat die Möglichkeit eines Beitritts zum Protokoll 4 erneut prüfen und dabei auch die Meinung der interessierten Kreise in Betracht ziehen». Eine Nachfrage beim Bundesamt für Justiz hat ergeben, dass vor allem die Bestimmung über die Freizügigkeit der Ausländer im ganzen Staatsgebiet für die Schweiz problematisch ist, da sich diese Freizügigkeit in der Regel auf den zuständigen Kanton beschränkt. Und schliesslich hat der Landtagsvizepräsident eine Anmerkung gemacht zum Vorbehalt zum Protokoll Nr. 7. Hier geht es im Wesentlichen darum, was ein «Gericht» ist und was man unter «Strafsache» versteht. Die Abklärungen im Ressort Justiz konzentrierten sich auf die Frage, ob die Garantie der gerichtlichen Überprüfung einer Verurteilung für eine strafbare Handlung auch im liechtensteinischen Verwaltungsstrafverfahren gewährleistet ist. Wie gesagt, geht es hier vor allem um die Beurteilung der Begriffe «Gericht» und «Strafsache». Für die Einschätzung der Notwendigkeit eines Vorbehalts von zentraler Bedeutung ist die Frage, ob sich die Garantie von Art. 2 ausschliesslich auf erstinstanzliche Entscheidungen bezieht. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Art. 2 des Protokolls 7, nämlich eben die gerichtliche Überprüfung eines Gerichtsurteils, als Ergänzung zu Art. 6 der EMRK, das Recht auf ein Gericht bzw. auf Zugang zu einem Gericht, zu verstehen ist. Das bedeutet, dass das liechtensteinische Recht bei Verwaltungsverfahren die Garantie von Art. 6 EMRK erst durch die Tatsache erfüllt, dass Entscheide eines Amtes und/oder der Regierung durch den Verwaltungsgerichtshof überprüft werden. Aus diesem Grund können die Entscheide eines Amtes und/oder der Regierung nicht als erst- bzw. zweitinstanzliche Urteile im Sinne von Art. 2 des Protokolls Nr. 7 betrachtet werden. Das heisst, erst das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs kann als Urteil im Sinne von Art. 2 des Protokolls Nr. 7 gelten, auch wenn der Verwaltungsgerichtshof als Berufungsinstanz entscheidet. Und dieses Urteil - wie wir wissen - wird in Liechtenstein nicht noch einmal durch eine gerichtliche Instanz überprüft. Das heisst, Herr Landtagsvizepräsident, Ihre Ausführungen in Bezug auf die Strafgerichte sind richtig. Dort ist jede Entscheidung überprüfungsfähig. Beim Verwaltungsgerichtshof ist das in dem Sinn nicht der Fall, wenn er gemäss Art. 6 der EMRK eben als ein Gericht und damit als Erstinstanz gesehen wird. Da hätten wir also keine Überprüfungsmöglichkeit. Um diese Interpretation bzw. um diese Möglichkeit auszuschliessen, dass wir allenfalls für solche wenige Fälle noch einmal eine Überprüfungsinstanz über den VGH einführen müssten, hat die Regierung und empfiehlt weiterhin, diesen Vorbehalt - wie er gegeben ist - zu machen. Danke. Landtagspräsident Klaus Wanger:
Besten Dank. Landtagsvizepräsident Peter Wolff:
Danke für Ihre Ausführungen, Herr Regierungsrat. Ich muss trotzdem sagen, ich glaube nicht, dass diese Interpretation, auf die man offenbar im Ressort Justiz gekommen ist, richtig ist, denn der Verwaltungsgerichtshof spricht ja bei uns keine Verurteilungen aus - geschweige denn erstinstanzliche Verurteilungen zu einer Strafe. Es ist nur möglich, dass eine Entscheidung einer Unterinstanz, einer Behörde oder der Regierung, mit der eine Strafe im Verwaltungsstrafverfahren ausgesprochen wird, vom Verwaltungsgerichtshof im Rechtsmittelweg beurteilt wird, indem er zum Beispiel eine Beschwerde gegen eine solche Verwaltungsstrafverfügung abweist. Die Abweisung einer solchen Beschwerde stellt aber keine Verurteilung dar. Nur wenn das der Fall wäre, dann wären die Ausführungen der Regierung dazu verständlich. Aber wie ich vorher schon gesagt habe, meiner Meinung nach spielt dieser Vorbehalt keine grosse Rolle, keine grosse Rolle in dem Sinn, als er den Inhalt des Protokolles 7 in seiner Anwendung auf unser Rechtssystem nicht wirklich verändert. Und ich habe deshalb kein Problem, auch dem Beitritt zum Protokoll 7 in dieser Form zuzustimmen, wenn ich auch, wie gesagt, der Auffassung bin, dass es nicht nötig wäre, einen solchen Vorbehalt anzubringen. Ein Vorbehalt ist ja immer ein Minus und ich würde ja dem Protokoll 7 auch ohne Vorbehalt zustimmen. Landtagspräsident Klaus Wanger:
Besten Dank. Wenn es keine weiteren Wortmeldungen gibt, dann bitte ich, den Antrag der Regierung zu verlesen. Der Antrag der Regierung wird verlesen.Landtagspräsident Klaus Wanger:
Wer diesem Antrag die Zustimmung erteilen will, möge bitte die Hand erheben. Abstimmung: Einhellige Zustimmung
Landtagspräsident Klaus Wanger:
Damit haben wir Traktandum 17 erledigt. -ooOoo-