Vorprüfung der angemeldeten Volksinitiative des Komitees «Für das Leben» zur Abänderung von Art. 14 der Landesverfassung (Nr.32/2005)
Landtagspräsident Klaus Wanger:
Frauen und Herren Abgeordnete, wir setzen unsere Beratungen am dritten Tag der Juni-Landtagssitzung fort. Wir kommen zu Traktandum 25: Vorprüfung der angemeldeten Volksinitiative des Komitees «Für das Leben» zur Abänderung von Art. 14 der Landesverfassung. Wir haben nun also über die Vorprüfung der Regierung der angemeldeten Volksinitiative des Komitees «Für das Leben» zur Abänderung der Landesverfassung gemäss Bericht und Antrag der Regierung Nr. 32/2005 zu befinden. Selbstverständlich haben wir aber auch gemäss Gutdünken jedes Mitgliedes des Landtages laut Volksrechtegesetz festzustellen, ob das angemeldete Initiativbegehren
mit der Verfassung und den bestehenden Staatsverträgen übereinstimmt. Mit dem Inhalt der Initiative haben wir uns erst dann zu befassen, wenn sie mit der erforderlichen Unterschriftenzahl von mindestens 1'500 Unterschriften eingereicht wird. Ich bitte, das bei der Behandlung dieses Berichtes und Antrages zur Kenntnis zu nehmen.Der Bericht und Antrag der Regierung steht zur Diskussion.Abg. Pepo Frick:
Danke schön. Ich werde mich zum Inhalt äussern, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Es sind auch bereits Forum-Beiträge der Initiativgruppe in die Öffentlichkeit gelangt, es haben sich sehr viele Fragen gestellt. Und darum werde ich tatsächlich auch zum Inhalt Stellung nehmen.«Für das Leben» heisst die angemeldete Volksinitiative, die Gegenstand der Beratung bzw. Vorprüfung hier im Landtag ist. Unsere Sprache lebt von Zuordnungen, Gegensätzen. Landtagspräsident Klaus Wanger:
Ich muss Sie leider unterbrechen, Herr Abg. Frick. Wir sprechen heute nicht über den Inhalt dieser Initiative, sonst stelle ich Antrag auf Ende der Diskussion. Aufgrund des Volksrechtegesetzes diskutieren wir dann eingehend über diese Initiative, wenn die notwendigen Unterschriften gesammelt sind. Dann wird das hier im Landtag behandelt. Aber heute sprechen wir nicht über den Inhalt der Initiative.Abg. Günther Kranz:
Herr Präsident, ich bin Neuling hier im Landtag. Wenn ich zu weit gehe, dann müssen Sie mich unterbrechen. Ich hoffe, dass ich nicht zu weit gehe. Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzte Damen und Herren Abgeordnete. Seit ich mich mit dem Anliegen der Volksinitiative zur Abänderung von Art. 14 unserer Landesverfassung näher auseinander setze, wird mir bewusst, wie wichtig und richtig dieser Vorstoss zum integralen Schutz des Menschenlebens und der Menschenwürde ist. Das gesellschaftliche Leben läuft Gefahr, alles verhandeln zu können.Landtagspräsident Klaus Wanger:
Entschuldigung, Herr Abg. Kranz, aber ich möchte alle Abgeordneten gleich behandeln. Aber Sie erlauben schon, dass der Abg. Kranz eine grundsätzliche Erklärung abgibt, die aber nicht den Inhalt der Initiative betrifft.Abg. Günther Kranz:
Das gesellschaftliche Leben läuft Gefahr, alles verhandeln zu können, auch das erste Grundrecht, das Recht auf Leben. Ich möchte jenen meine Anerkennung zum Ausdruck bringen, die im überparteilichen Interesse diese Volksinitiative gestartet haben. Es ist wichtig, dass Personen dieses Landes im richtigen Zeitpunkt erkannt haben, wie sehr eine klare verfassungsmässige Verankerung des vollumfänglichen Schutzes des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tode gefordert ist, zumal es sich hier auch um ein natürliches und allgemeingültiges Grundrecht handelt, das in keiner Weise zur Disposition stehen darf. Das Recht hört auf, Recht zu sein, wenn es nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird. Auf diese Weise ist die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln in Gefahr. Der Staat muss das gemeinsame Haus sein, in dem alle nach den Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben können. Das Interesse einiger oder weniger Gruppen, über das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten - vom ungeborenen Kind bis zum alten Menschen - verfügen zu können, ist zu unterbinden.Landtagspräsident Klaus Wanger:
Darf ich Sie, Herr Abg. Günther Kranz, auch bitten, vielleicht zum Schluss zu kommen und keine inhaltlichen Aussagen zu machen. Ich möchte hier wirklich alle Abgeordneten gleich behandeln.Abg. Günther Kranz:
Ich komme somit zum Schluss: Ich unterstütze die vorliegende Volksinitiative betreffend die Ergänzung bzw. Abänderung von Art. 14 unserer Verfassung und schliesse mich gerne dem Antrag der Regierung an, dieses Initiativbegehren als verfassungs- und staatskonform zu erkennen und es aufgrund der rechtlichen Unbedenklichkeit gemäss Volksrechtegesetz politisch umzusetzen.Landtagspräsident Klaus Wanger:
Besten Dank.Abg. Josy Biedermann:
Am 15. März 2005 wurde seitens des Initiativkomitees «Für das Leben» bei der Regierung eine Volksinitiative zur Abänderung von Art. 14 der Landesverfassung angemeldet. Dieser Artikel lautet - ich zitiere: «Die oberste Aufgabe des Staates ist die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und für den Schutz der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes». Die Initianten schlagen nun folgende Änderung des Artikels 14 vor: «Oberste Aufgabe des Staates ist der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tode sowie die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechts und den Schutz sowohl der Menschenwürde als auch der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes». Es geht heute nicht um den Inhalt dieser Initiative, die viele Fragen aufwirft, die noch eingehend diskutiert werden müssen, sondern um die Vorprüfung gemäss Volksrechtegesetz. Die Regierung berichtet dem Landtag, dass die gegenständliche Initiative nicht im Widerspruch zu den in Liechtenstein geltenden Staatsverträgen und den sich daraus ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen steht. Sie entspricht auch den weiteren gesetzlichen Anforderungen. Die Verfassungsinitiative kann deshalb zur Unterschriftensammlung und zu einer allfällig späteren Volksabstimmung zugelassen werden.Abg. Marlies Amann-Marxer:
Danke, Herr Präsident. Meine Damen und Herren. «Oberste Aufgabe des Staates ist der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod sowie die Förderung der gesamten Volkswohlfahrt. In diesem Sinne sorgt der Staat für die Schaffung und Wahrung des Rechtes und den Schutz sowohl der Menschenwürde als auch der religiösen, sittlichen und wirtschaftlichen Interessen des Volkes». Mit diesem Wortlaut wollen die Initianten des Initiativkomitees «Für das Leben» den Artikel 14 der geltenden Verfassung abändern. Die Initianten begründen die Änderung des Verfassungsartikels mit dem Fortschritt in Wissenschaft und Technik und sehen den einzelnen Menschen vermehrt Eingriffen und Zugriffen ausgesetzt. Sie fordern, dass in einem sozial und wirtschaftlich hoch entwickelten und überschaubaren Land wie Liechtenstein es ist, die Schutzpflicht des Staates für jedes menschliche Leben vollumfänglich ausser Frage stehen muss. Aus diesem Grund solle mit einem aktualisierten Verfassungsartikel 14 eine möglicherweise folgenschwere Verfassungslücke geschlossen werden. Der Landtag hat sich heute nicht mit dem Inhalt der Initiative zu befassen, sondern mit deren Zulässigkeit. In diesem Zusammenhang hat er den Regierungsbericht zur Kenntnis zu nehmen. Die Regierung hat laut Bericht die Initiative daraufhin überprüft, ob sie mit der Verfassung und den bestehenden Staatsverträgen übereinstimmt. Sie führt in ihrem Bericht detailliert auf, weshalb die Initiative als zulässig zu erkennen ist. Zur Legitimation: Das Initiativkomitee besteht aus 10 Initianten, die alle stimm- und wahlberechtigte liechtensteinische Staatsangehörige sind. Die Initianten sind zur Einreichung der Initiative somit legitimiert. Dem ist nichts hinzuzufügen. Zur Verfassungsmässigkeit: Die Regierung vertritt den Standpunkt, dass die Verfassung selbst nur für Gesetzesinitiativen, nicht jedoch für Verfassungsinitiativen als Prüfungsmassstab herangezogen werden kann, da eine Verfassungsinitiative ja gerade auf eine Änderung oder Ergänzung der Verfassung abziele. Somit sei die gegenständliche Verfassungsinitiative nicht auf ihre Übereinstimmung mit der geltenden Verfassung, sondern nur auf ihre Vereinbarkeit mit den geltenden Staatsverträgen zu prüfen. Das Begehren der Initianten hat programmatischen Charakter, die Fragen und die Diskussionen werden sich vor allem in Bezug auf die Umsetzung ergeben. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Thronrede des Erbprinzen, der bei der Landtagseröffnung den Schutz des Lebens als Kernaufgabe des Staates bezeichnet hat und der empfahl, den Schutz des Lebens als oberste Staatsaufgabe in der Verfassung zu verankern. S.D. der Erbprinz erwähnt in der Folge auch die unterschiedlichen Positionen, wenn es um die Frage geht, wie menschliches Leben am besten geschützt werde, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Fristenlösung, womit wir wieder bei der Umsetzung sind. Der Erbprinz kommt jedoch zum Schluss, dass eine umfassende Verankerung des Schutzes des menschlichen Lebens in der Verfassung kein Problem sein sollte, da alle unterschiedlichen Positionen und Gruppen den Schutz des menschlichen Lebens als ihr wichtigstes Anliegen bezeichnen. In der geltenden Verfassung sind der Schutz des Lebens und der Menschenwürde eines jeden Menschen indirekt bereits vorhanden oder können zumindest über einzelne Artikel hergeleitet werden. Das Begehren der Initianten unterscheidet sich also von der aktuellen Verfassung vor allem darin, dass es keinen Spielraum in Bezug auf den zeitlichen Umfang des Schutzes offen lässt. Bei der Umsetzung des Artikels 14 der Verfassung wird der Kernpunkt aller zukünftigen Diskussionen sich um die Definition des Begriffs Leben drehen. Zur Übereinstimmung der Initiative mit Staatsverträgen: Haben Staatsverträge einen höheren oder einen weniger hohen Rang als die Verfassung? Einen allgemeinen Grundsatz, wonach das Völkerrecht dem innerstaatlichen Recht und insbesondere der Verfassung vorgehe, kenne das liechtensteinische Recht nicht, erläutert die Regierung in ihrem Bericht. Obwohl nach der Verfassungsrevision 2003 im Art. 104 indirekt davon ausgegangen werden kann, dass die Verfassung einen Vorrang vor Staatsverträgen habe, gibt es völkerrechtliche Verträge wie die EMRK oder das Folterverbot, welche von sich aus vom Grundsatz ausgehen, dass sie Über-Verfassungsrang haben und nicht durch eine nationale Verfassung derogiert werden können. Die Initiative war auch auf die Übereinstimmung mit bestehenden Staatsverträgen zu überprüfen. Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten hält in Art. 2 fest - ich zitiere: «Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt». Ein Recht zu sterben könne daraus nicht abgeleitet werden - gemäss Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ob Art. 2 auch das ungeborene Leben schützt, lässt der Gerichtshof jedoch offen, besonders in Anbetracht der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs in den Mitgliedstaaten. Landtagspräsident Klaus Wanger:
Darf ich auch Sie bitten, Frau Abg. Marlies Amann-Marxer, zum Ende zu kommen und keine Äusserungen zum Inhalt zu machen. Es tut mir leid, ich möchte Gleichheit hier im Landtag.Abg. Marlies Amann-Marxer:
Entschuldigung, ich werde natürlich Ihrer Weisung folgen. Aber diese Ausführungen in Bezug auf die ...Landtagspräsident Klaus Wanger:
Ich denke an das Stichwort «Fristenlösung» usw.Abg. Marlies Amann-Marxer:
Das habe ich aus dem Bericht und Antrag der Regierung entnommen. So viel zur Vereinbarkeit mit den Staatsverträgen. Zum vorliegenden Initiativbegehren ist festzuhalten, dass das Begehren der Initianten zum Schutz des Lebens und der Menschenwürde über das in der EMRK gewährte Schutzniveau hinausgeht und dieses nicht einschränkt. Daher ist davon auszugehen, dass das Begehren im Einklang mit der EMRK steht. Das betrifft sowohl den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) als auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Zu weiteren rechtlichen Vorgaben: Nach Überprüfung des Initiativbegehrens befindet die Regierung, dass auch die weiteren rechtlichen Vorgaben wie Einheit der Form, Einheit der Art der Begehren, Sperrfrist und Bedeckungsvorschlag eingehalten wurden und schliesst daraus: «Die Verfassungsinitiative kann deshalb zur Unterschriftensammlung und zu einer allfällig späteren Volksabstimmung zugelassen werden». Ich kann diesen Ausführungen im Vorprüfungsbericht folgen, welche die Initiative als zulässig erkennt. Meine grundsätzlichen Überlegungen zum Inhalt werde ich hiermit weglassen. Danke.Landtagspräsident Klaus Wanger:
Besten Dank.Abg. Pepo Frick:
Ich wage es nochmals und verspreche, dass ich nur Bezug auf den Bericht und Antrag der Regierung nehmen werde: Dieser stellt fest, dass sowohl der Schutz des Lebens - Recht auf Leben, wie in Art. 10 Abs. 2 der Landesverfassung - als auch der Menschenwürde in der aktuellen Verfassung in ungeschriebener Form bereits enthalten bzw. hergeleitet werden können. Das Begehren der Initianten unterscheidet sich von der aktuellen Verfassung vor allem dahingehend, dass es den derzeitig durch Interpretation möglichen Spielraum bezüglich des zeitlichen Umfanges des Schutzes durch eine feste Vorgabe ersetzt, nämlich von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod. Die von den Initianten begehrte Abänderung betrifft den Art. 14 der Landesverfassung, welcher seinerseits Teil des 3. Hauptstücks, nämlich von den Staatsaufgaben, ist. Der Inhalt des 3. Hauptstücks ist vorwiegend programmatischer Art. Dabei werden in der Regel die Aufgaben des Staates im Grossen und Ganzen definiert, ohne dass dabei konkrete Rechte, Pflichten oder konkrete Vorgehensweisen definiert und vorgegeben werden. Die klassischen Grundrechte, zum Beispiel Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit usw., sind in der liechtensteinischen Verfassung Inhalt des 4. Hauptstücks von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehörigen. Entgegen den Programmartikeln des 3. Hauptstückes können sich Betroffene direkt auf die Rechte und Pflichten des 4. Hauptstücks berufen. Somit möchte ich feststellen, dass das Begehren der Initianten programmatischen Charakter hat, was bezüglich der Umsetzung viele Fragen und Ausführungsbestimmungen offen lässt.Abg. Paul Vogt:
Herr Präsident, ich möchte hier doch noch eine Bemerkung zur Geschäftsordnung machen. Art. 22 Abs. 1 der Geschäftsordnung lautet, dass, wenn sich ein Redner zu weit vom Beratungsgegenstand entfernt, dass er dann vom Präsidenten ermahnt wird. In Abs. 3 heisst es: «Missachtet ein Redner die wiederholten Mahnungen des Präsidenten, so entzieht ihm der Präsident das Wort». Sie haben dem Abg. Pepo Frick gleich das erste Mal das Wort entzogen. Ich meine, das entspricht nicht der Geschäftsordnung.Weiter möchte ich feststellen, dass in der Vergangenheit die Vorberatung von solchen Initiativen immer sehr grosszügig gehandhabt wurde. Diese Bestimmungen wurden in der Vergangenheit immer sehr grosszügig ausgelegt. Die Abgeordneten konnten auch zum Inhalt der Initiative sprechen. Diesmal haben Sie einen sehr engen Massstab angewendet. Ich bedaure das. Ich denke, man müsste hier eine gewisse Toleranz zeigen und eine gewisse Grosszügigkeit wahren.Zum Thema selber stelle ich auch fest: Die Initiative ist weder verfassungswidrig noch ist sie völkerrechtswidrig. Sie ist von daher zuzulassen. Das steht ausser Frage.Landtagspräsident Klaus Wanger:
Besten Dank. Wenn es keine weiteren Wortmeldungen mehr gibt, können wir über den Antrag der Regierung, der wie folgt lautet, abstimmen:1. Der Hohe Landtag wolle den Vorprüfungsbericht der Regierung zur Kenntnis nehmen und2. die gegenständliche Verfassungsinitiative in Beratung ziehen und über ihre Zulässigkeit befinden. Wer diesem Antrag zustimmen will, möge bitte die Hand erheben.Abstimmung: Einhellige Zustimmung
Landtagspräsident Klaus Wanger:
Damit haben wir auch Traktandum 25 abschliessend behandelt. -ooOoo-