Abänderung des Polizeigesetzes (SIS und SIRENE), (Nr. 71/2008); 1. Lesung
Landtagspräsident Klaus Wanger
Wir kommen nun zu Traktandum 20: Abänderung des Polizeigesetzes.
Der Bericht und Antrag der Regierung trägt die Nr. 71/2008 und steht zur Diskussion.Abg. Henrik Caduff
Danke, Herr Präsident. Unter Traktandum 17 zur Assoziierung Liechtensteins an die Systeme Schengen und Dublin habe ich bereits Bedenken in Bezug auf die personelle Ausstattung der Landespolizei geäussert; dies unter Berücksichtigung des Umfangs der Aufgaben, welche mit dem vorliegenden Bericht und Antrag der Landespolizei übertragen werden. Das In-Kraft-Treten der Schengener Assoziierungsabkommen setzt u.a. voraus, dass Liechtenstein als Ausgleich für den Abbau systematischer Personenkontrollen an der Grenze einen Anschluss an das Schengener Informationssystem SIS realisiert. Darin können bestimmte Personen und Sachen von allen Mitgliedstaaten und den assoziierten Staaten zur Fahndung ausgeschrieben und von allen zugriffsberechtigten Sicherheitsbehörden abgefragt werden.
Das Schengen-Informationssystem SIS ist das Herzstück der Polizei- und Justizzusammenarbeit in Europa. Der Fahndungscomputer gibt Polizei, Grenzschutz und Visa-Behörden in Sekundenschnelle Auskunft über ausgeschriebene Personen, Fahrzeuge, Waffen oder Ausweise. Dazu haben die angeschlossenen Staaten eine Behörde zu bezeichnen, welche für das Funktionieren und die Sicherheit des nationalen Systemteils sowie die Datenpflege verantwortlich ist. Ausserdem ist eine nationale Zentralstelle einzurichten, das so genannte SIRENE-Büro, welches für den internationalen Austausch von zusätzlichen Informationen und die Koordinierung von Massnahmen verantwortlich ist.
Im Bericht und Antrag wird ausgeführt, dass die erforderliche Umsetzung besonderer Regeln hinsichtlich der auszutauschenden Informationen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll. Meine Frage an die Regierung: Wie gestaltet sich hier das weitere Vorgehen?
Das sich derzeit in Betrieb befindende SISone4all ist eine Übergangslösung, welche durch das SIS II abgelöst werden soll. Das SIS II basiert auf einer neuen Technologie und sieht auch den Austausch von biometrischen Daten, wie Fingerabdrücken und Fotos, sowie die relationale Verbindung von Datensätzen sowie weitere Verbesserungen hinsichtlich der Datenqualität vor. Da in Liechtenstein die Realisierung eines Anschlusses an das bestehende SISone4all mit der voraussichtlichen operativen Inbetriebnahme des Nachfolgemodells SIS II zeitlich nah zusammenfällt, soll gleich der Anschluss an das SIS-II-System angestrebt werden. Sollte es sich im Zuge der Umsetzung des Projektes erweisen, dass sich die Inbetriebnahme des SIS II verzögert, sind gegebenenfalls Übergangslösungen zu evaluieren. Wie sehen in einem solchen Fall die Szenarien der Regierung aus? Gibt es ein Worst-case-Szenario?
Wir haben die Pflicht, ein nationales SIS II zu errichten und dieses zu betreiben und zu warten. Der reibungslose Verlauf und die Einhaltung der Sicherheitserfordernisse sind zu gewährleisten. In den im Internet abrufbaren Erläuterungen zu den Kontrollbefugnissen und Tätigkeiten des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten im Rahmen des Schengener Assoziierungsabkommens vom 28. Mai 2008 wird unter Punkt 3, Evaluation, Folgendes ausgeführt:
«Die Anwendung des Schengenen-Assoziierungsabkommens in der Schweiz ist von einem Ratsbeschluss der EU abhängig. Dieser Beschluss muss von allen Schengen-Staaten einstimmig gefällt werden. Er erfolgt, nachdem in einer Evaluation festgestellt worden ist, dass die Schweiz die Voraussetzung für die Umsetzung des Abkommens erfüllt. Die Evaluation wird von einer Gruppe von Experten des EU-Rates, der EU-Kommission und der EU-Staaten durchgeführt. Evaluiert werden die polizeiliche Zusammenarbeit, der Datenschutz, die Kontrolle der Aussengrenzen, die Visa-Behandlung, die Zusammenarbeit auf konsularischer Ebene sowie das SIS. Die Evaluation stützt sich auf einen Fragebogen sowie Inspektionen vor Ort».
Was wäre nun, wenn bei der Evaluation der liechtensteinischen SIRENE-Stelle aus Sicht der Prüfstelle festgestellt würde, dass mit dem unter Traktandum 17 beantragten Personalstamm die geforderte Qualität nicht gewährleistet werden kann? Existiert hierzu ebenso ein Worst-case-Szenario?
Besten Dank.
Abg. Rudolf Lampert
Aufgrund der ausführlichen Ausführung des Abg. Caduff kann ich auf das Verlesen meines Votums verzichten. Ich empfehle ebenfalls Eintreten auf die Vorlage.
Regierungsrat Martin Meyer
Danke, Herr Präsident, geschätzte Damen und Herren Abgeordnete. Wie wir bereits bei Trakt. 17 diskutiert haben, bedeutet ein Beitritt zum Schengen/Dublin-Abkommen einen Abbau von Binnengrenzen und Grenzkontrollen innerhalb dieser Gemeinschaft bzw. innerhalb der Vertragsstaaten. Im Gegenzug dazu sind - weil ja eben die Binnengrenzen abgebaut werden - verschiedene Ausgleichsmassnahmen zu treffen und das ist auch der Grund für diese vorliegende Gesetzesänderung. Zum einen sind nationale Meldestellen und Vermittlungsinstanzen einzurichten - im Bereich der Landespolizei betrifft das das SIRENE-Büro - und zum anderen ist die Teilnahme bzw. eine Anbindung an die relevanten Informationssysteme - im Bereich der Landespolizei ist das wie erwähnt das Schengener Informationssystem - erforderlich.
Der Schengen-Vertrag sieht aber auch noch weitere Ausgleichsmassnahmen vor. Zum Beispiel sind das grenzüberschreitende Observationen, grenzüberschreitende Nacheile, kontrollierte Lieferungen und andere polizeiliche Instrumente. Es sind auch mobile Kontrollen im Landesinneren vorgesehen bzw. der Einsatz von grenzüberschreitenden gemischten Streifen sowie der Aufbau von nationalen Verbindungsbüros oder Videoüberwachungen an den Grenzabfertigungsstellen.
Warum ich die letzten Punkte erwähne - diese haben wir bereits alle bei uns schon umgesetzt zusammen mit unseren Partnern, dem Grenzwachtkorps und den österreichischen Behörden des Bundesinnenministeriums. Es geht jetzt in der Folge speziell im Polizeibereich noch um den organisatorischen Aufbau des SIRENE-Büros und um den Anschluss an das Schengener Informationssystem.
Zur Frage, was passiert, wenn eine Evaluation vor Ort stattfinden würde und wenn festgestellt würde, dass eben zu wenig Personal im SIRENE-Büro vorhanden sei: Diesbezüglich eine Bemerkung vorne weg: Wir befinden uns jetzt im Umsetzungsprojekt. Das heisst, die Landespolizei ist aktuell daran, das SIRENE-Büro organisatorisch aufzubauen und dies auch entsprechend in die Organisation der Landespolizei einzugliedern. Nach dem erfolgten Landtagsbeschluss von heute Morgen werden natürlich auch die entsprechenden Personalrekrutierungen vorzunehmen sein. Zudem befindet sich die Landespolizei auch EDV-mässig bereits im Implementierungsprojekt, sodass in den nächsten Monaten damit zu rechnen ist, dass ein Grossteil dieser Umsetzung bereits abgeschlossen ist.
Nun, bei der Umsetzung sind zwei Sachen zu berücksichtigen - das hat der Abg. Henrik Caduff in seinem Votum richtig ausgeführt: Das eine ist: Der organisatorische Aufbau muss beendet sein, und es muss genügend Personal vorhanden sein. Zum anderen muss ein entsprechender Anschluss an das Schengener Informationssystem sichergestellt sein.
Zum Ersten: Sollte die Evaluation, die in mittlerer Zukunft durchgeführt wird, ergeben, dass zu wenig Personal vorhanden ist, dann wird diese Evaluierungsgruppe, die das vor Ort begutachtet, an die liechtensteinische Regierung eine entsprechende Empfehlung aussprechen, die Landespolizei mit mehr Personalressourcen auszustatten, und die Regierung kann dann diese Empfehlung annehmen oder nicht. Auf jeden Fall wird das - wie bei anderen bilateralen Verträgen auch - Punkte geben, wo man entsprechende Empfehlungen an die Regierungen richtet.
Wenn ich mir die Evaluation in der Schweiz ansehe, konnte zum Beispiel festgestellt werden, dass im Bereich des Datenschutzes verschiedene Empfehlungen an die Schweiz gerichtet worden sind und die Schweizer Behörden sind derzeit bei der Prüfung, wie das landesintern am besten umgesetzt wird. Das erachte ich nicht als kritisch, sondern das ist eher eine Hilfestellung. Nämlich, im Prinzip ist das ja eine Zertifizierung bzw. ein Audit, ob die Geschäftsprozesse, so wie sie die Landespolizei jetzt implementiert, auch Schengen-konform sind. Im Sinne einer Qualitätssicherung ist so eine Inspektion bzw. Evaluation vor Ort dienlich.
Dann noch zur Frage, welches das richtige Informationssystem ist: Es ist unbestritten, dass wir SIS II implementieren möchten, und das aus zwei Gründen. Erstens einmal hat es bessere und umfangreichere Funktionalitäten als das derzeitige System, welches als Zwischenlösung gebraucht wird, und zum Zweiten würde es sich für diese kurze Übergangszeit, auch nicht rechtfertigen, hier einen Betrag von CHF 1,5 bis 2 Mio. zusätzlich in die Hand zu nehmen, plus den entsprechenden Personalaufwand, welcher für die Implementierung benötigt wird. Deshalb hat sich die Regierung entschieden, direkt SIS II zu implementieren.
Die Europäische Union hat zu einem früheren Zeitpunkt zugesichert, dass SIS II per Herbst 2008 zur Verfügung steht. Aufgrund von technischen Migrationsproblemen wird das erst im nächsten Sommer der Fall sein, aber das ist für uns insofern nicht problematisch, weil wir kein zusätzliches Sicherheitsrisiko haben, ob wir jetzt am Schengener Informationssystem teilnehmen oder nicht. Es wird eine Erleichterung für die Zukunft geben, aber speziell für das Land wird sich hier keine Verschlechterung der Situation ergeben, weil die Landespolizei ja an den entsprechenden Schweizer Fahndungssystemen partizipiert.Die Frage wird natürlich im Hinblick auf die Evaluation wichtig werden, ob Liechtenstein den Anforderungen des Anschlusses an SIS II genügt oder nicht, und wir werden das zum entsprechenden Zeitpunkt mit den Evaluatoren zu klären haben. Es ist ja auch noch nicht beabsichtigt, dass bereits in diesem Jahr eine Evaluation vom SIRENE-Büro stattfindet. Was denkbar wäre, ist, dass bereits die Datenschutzevaluation oder auch die Evaluation des Dublin-Büros, das dann beim Ausländer- und Passamt eingerichtet wird, bereits in diesem Herbst stattfindet. Aber diese Fragen werden wir über die Sommerpause klären.
Abg. Henrik Caduff
Danke, Herr Präsident. Meine Fragen zielen darauf oder haben auch den Hintergrund natürlich der Offenhaltung der Grenzen in der Übergangsphase. Ich bin jetzt froh um die Auskünfte der Regierung, dass die Evaluation - so wie ich es verstanden habe - oder das Resultat der Evaluation keinen direkten Einfluss hat auf den Beitritt in den Schengen-Raum resp. dass daraus nicht das Verfahren gestoppt würde, bis gewisse Punkte erfüllt sind. Vielleicht kann das die Regierung noch bestätigen.
Dann, trotzdem noch die Rückfrage: Wenn sich jetzt die Inbetriebnahme des SIS wirklich verzögern würde, ob wir daraus jetzt dann auch eine grössere Hürde hätten oder ob das dann auch so toleriert würde im ganzen Verfahren. Danke.
Regierungsrat Martin Meyer
Danke, Herr Präsident. Ich möchte noch einmal auf den Abg. Henrik Caduff entsprechend antworten. Noch einmal, selbstverständlich, sie müssen die Evaluation bestehen, wenn sie nachher die Schengen-Konformität zugesprochen erhalten wollen, das ist ganz klar. Praktisch keine Evaluation, die auch jetzt in den neuen Mitgliedsländern stattgefunden hat, gibt gleich eine 100-prozentige Schengen-Konformität, sondern sie werden dann ein Prüfresultat erhalten, dass sie sagen: Jawohl, sie sind grundsätzlich Schengen-konform, wir empfehlen allen Mitgliedsländern, Liechtenstein aufzunehmen, aber zum Beispiel im Bereich von Personal empfehlen wir noch folgende Massnahmen. Das wird es nicht verzögern, sondern Ziel muss es sein, die Evaluation zu bestehen, wenn diese Evaluationsteams vor Ort kommen. Darauf arbeiten wir hin, und das ist jetzt auch so vorgesehen. Ob dann noch eine entsprechende Empfehlung abgegeben wird oder nicht, das können wir nicht ausschliessen, aber das verhindert dann nachher das weitere Prozedere nicht.
Selbstverständlich muss es auch Ziel bei der Evaluation sein, dass das SIS betriebsbereit ist. Die Daten bekommen Sie erst, wenn Sie die Schengen-Konformität bestätigt erhalten haben. Wir können alles tun und uns vorbereiten und sagen, wir haben das jetzt erfüllt, die EDV-Systeme stehen, das Personal steht bereit, aber die Daten, die bekommen wir erst, wenn die Evaluation erfolgreich durchlaufen worden ist. Darum ist es auch weniger kritisch, weil das sind alles Vorbereitungsarbeiten, die wir heute treffen können. Wir können die Organisationseinheit innerhalb der Polizei aufbauen, wir können die EDV aufbauen und die notwendigen Implementierungen vornehmen, und wir können uns so weit an der Weiterentwicklung von SIS II beteiligen. Wir haben ja jetzt Einsitz in den einschlägigen Gremien in Luxemburg und in Brüssel, sodass wir hier auch die notwendigen Informationen haben. Wir können uns da beteiligen, soweit das im Rahmen unserer Möglichkeiten steht. Mehr können wir bis zum Zeitpunkt der Evaluation nicht machen.
Noch ein anderes Thema, das Sie angesprochen haben, nämlich die Übergangslösung betreffend die Grenze: Hier ist es in der Tat so, dass, sollten die Schweiz und Liechtenstein nicht gleichzeitig dem Schengen-Raum beitreten können, eine praktikable Übergangslösung gefunden werden muss. Das hat die Regierung in der Vergangenheit im Landtag aber auch schon mehrfach kommuniziert. Wir sind diesbezüglich - und ebenso die Schweizer Politik ist diesbezüglich - an einer praktikableren Übergangslösung interessiert, sodass einerseits die formal-rechtlichen Anforderung an die Sicherung der Grenze eingehalten wird und zum anderen, dass sich im Tagesgeschäft nicht viel ändert. Wir haben im Dreiländereck ein sehr hohes Sicherheitsniveau, wir haben Regelungen, die teilweise über den Schengen-Raum bzw. über die Anforderungen von Schengen hinausgehen. Deshalb müssen wir hier auch die entsprechenden Gespräche und Verhandlungen führen. Es sind sowohl Gespräche mit der Schweiz wie auch mit den zuständigen Behörden in der EU am Laufen. Es findet auch demnächst ein informelles Expertentreffen hier in Liechtenstein statt, damit sich eben die EU-Experten einmal ein Bild vor Ort machen können, und damit sie auch einschätzen können, was hier überhaupt zu entscheiden ist.
Landtagspräsident Klaus Wanger
Besten Dank. Wenn es keine Wortmeldungen mehr gibt, dann beginnen wir mit der 1. Lesung.Art. 2 Abs. 1 Bst. l bis o wird verlesen.
Landtagspräsident Klaus Wanger
Art. 2 Abs. 1 Bst. l bis o steht zur Diskussion.
Sie wird nicht benützt. Wir können weiterlesen.
Art. 34b Abs. 8 Bst. c wird verlesen.
Landtagspräsident Klaus Wanger
Art. 34b Abs. 8 Bst. c steht zur Diskussion.
Sie wird nicht benützt. Wir können weiterlesen.
II. wird verlesen.
Landtagspräsident Klaus Wanger
II. steht zur Diskussion.
Regierungsrat Martin Meyer
Danke, Herr Präsident. Ich möchte hier die gleiche Anmerkung machen wie bei der Inkrafttretensbestimmung des Datenschutzgesetzes. Wir werden auch diese Formulierung noch einmal überprüfen und mit allen anderen Gesetzesvorlagen, welche notwendig sind, im Zuge der Schengen-Umsetzung harmonisieren.
Landtagspräsident Klaus Wanger
Besten Dank. Damit haben wir die 1. Lesung des Gesetzes über die Abänderung des Polizeigesetzes vollzogen. -ooOoo-