Es gilt das gesprochene Wort!
ANSPRACHE
SEINER DURCHLAUCHT ERBPRINZ ALOIS VON UND ZU LIECHTENSTEIN
ANLÄSSLICH DER LANDTAGSERÖFFNUNG
am 26. Januar 2023
Sehr geehrte Mitglieder des Landtages und der Regierung
Mit dem heutigen Tag beginnt die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Leider war die erste Hälfte wiederum durch Krisenbewältigung geprägt. Kaum waren Erleichterungen bezüglich der Pandemie absehbar, kam es zum Angriff Russlands auf die Ukraine und den damit verbundenen Krisen. Auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode wird Krisenbewältigung nötig sein. Neben den Flüchtlingsströmen werden uns wohl vor allem die Energiesicherheit, mögliche Rezessionen in wichtigen Absatzmärkten und Schwierigkeiten bei den Lieferketten fordern.
All dies kann zusätzliche Anstrengungen auf nationaler Ebene benötigen. Aber auch auf internationaler Ebene sollten wir wieder unsere Verantwortung wahrnehmen, Solidarität üben und weitere positive Beiträge zur Krisenbewältigung und Verbesserung der internationalen Ordnung leisten. Dies gilt insbesondere, wenn wir Ende dieses Jahres den Vorsitz im Europarat übernehmen werden.
Der Wert unserer Aussenpolitik ist nicht immer so leicht ersichtlich wie jener von innenpolitischen Massnahmen. Unsere Aussenpolitik ist aber von grosser Bedeutung - nicht zuletzt hinsichtlich der Gestaltung der Rahmenbedingungen für unsere Innenpolitik.
Sehr geehrte Mitglieder des Landtages und der Regierung
Trotz aller Krisen gab und gibt es jedoch auch Grund zum Feiern. Im Jahr 2021 konnten wir das 100-Jahre-Jubiläum der Verfassung begehen und in diesem Jahr feiern wir das 100-jährige Bestehen des Zollanschlussvertrages mit der Schweiz. Letzteres wird an verschiedenen Anlässen und auch in einer Sondersitzung des Landtags gewürdigt werden, weshalb ich den Fokus der heutigen Ansprache auf andere Themen lege.
Trotz aller Krisen sollten wir uns auch ausreichend den Zukunftsthemen widmen, um die Lebensqualität unseres Landes weiter zu steigern und uns auf die Herausforderungen der Zukunft gut vorzubereiten. Zusätzlich zur eingangs erwähnten Energiesicherheit ist die demographische Entwicklung eine von mir bereits mehrfach bei Landtagseröffnungen angesprochene Herausforderung. Ich begrüsse es daher sehr, dass die Regierung derzeit eine Altersstrategie erarbeitet. Sie kann eine zentrale Stütze für alle weiteren Arbeiten im Bereich der Alterspolitik sein.
Sehr geehrte Mitglieder des Landtages und der Regierung
Die Regierung hat jüngst einen Gesetzesentwurf zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie in die Vernehmlassung geschickt. Deshalb möchte ich heute einen besonderen Schwerpunkt auf dieses Thema legen, das ebenfalls von der demographischen Entwicklung beeinflusst ist.
Aufgrund des Arbeitskräftemangels sind gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein zunehmend bedeutender Standortfaktor. Mit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie können wir sowohl Arbeitskräfte aus dem Ausland leichter rekrutieren als auch unsere im Vergleich zur Schweiz niedrige Frauenerwerbsquote erhöhen. Dadurch können unsere Unternehmen zudem einen deutlich höheren Anteil an Mitarbeitenden nach der Geburt eines Kindes im Betrieb halten. In einer immer stärker wissensbasierten Wirtschaft, in der die Unternehmen auch immer mehr in die Ausbildung ihrer Arbeitskräfte investieren, können diese Investitionen so länger genutzt werden.
Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch aus gesundheitspolitischen Gründen wichtig. Dadurch erreichen wir nicht nur Stressreduktion bei den Eltern und damit eine Senkung der Gefahr von psychischen Erkrankungen, sondern durch eine bessere Betreuung von Kindern in den ersten Lebensjahren stärken wir auch deren Gesundheit.
Wir wissen aus der Forschung, dass die ersten Lebensjahre die körperliche und psychische Gesundheit des Menschen lebenslang prägen. Angesichts der dynamischen Entwicklung der psychischen Erkrankungen, die laut WHO in Europa bald an der ersten Stelle aller Krankheitsursachen stehen werden, ist eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch wegen ihrer gesundheitspolitischen Präventionswirkung von grosser Bedeutung.
Schliesslich könnte eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie dazu führen, dass Eltern wieder früher und mehr Kinder bekommen. Dies wäre nicht zuletzt deshalb wünschenswert, weil so vielleicht auch weniger auf die Fortpflanzungsmedizin zurückgriffen wird, die mit einer grossen Anzahl von Problemen verbunden ist, von denen viele noch zu wenig bekannt sind.
Gerade in Zeiten, in der wir uns über eine nachhaltige Entwicklung Gedanken machen und uns über die Probleme von Eingriffen in die Natur bewusster werden, sollten wir uns auch mehr mit den Problemen der Fortpflanzungsmedizin befassen und diese möglichst zurückhaltend einsetzen. Denn nicht nur sind die Hormonbehandlungen der Fortpflanzungsmedizin erhebliche Belastungen für die Frauen, sondern es gibt inzwischen auch Bedenken, dass in Petrischalen erzeugte Kinder häufiger Gesundheitsprobleme haben. Die Fortpflanzungsmedizin ist ausserdem in vielen Bereichen mit gravierenden ethischen Problemen verbunden, insbesondere betreffend die Anfälligkeit für Ausbeutung von Eizellenspenderinnen und Leihmüttern einerseits sowie für genetische Selektion und Manipulation in Richtung «Designerbabys» andererseits.
Sehr geehrte Mitglieder des Landtages und der Regierung
Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wäre somit aus vielen Gründen wünschenswert. Die Massnahmen des Vernehmlassungsentwurfes bringen zwar Verbesserungen bezüglich Betreuung und flexiblen Arbeitszeitregelungen, für eine wirklich gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie brauchen wir jedoch ein ganzes Bündel von zusätzlichen Massnahmen. Neben qualitativ hochstehende Kindertagesstätten und der Möglichkeit für alle, ihr Kind zumindest im ersten Lebensjahr selbst betreuen zu können, benötigen wir auch mehr gut ausgebildete Tagesmütter.
Im Bildungsbereich wurden mit der Einführung von Ganztagesschulen und Mittagstischen bereits einige Fortschritte erzielt. In nächsten Schritten wäre es wichtig, die Betreuungsangebote der Schulen besser mit den Freizeitangeboten der Vereine und den Angeboten von Ferienbetreuungen zu verknüpfen. Überlegenswert sind auch Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Studium und Familie sowie kürzere Ausbildungszeiten.
Neben der staatlichen Seite wäre es wünschenswert, dass auch unsere Unternehmen weitere Massnahmen treffen. Wir benötigen mehr Teilzeitangebote und eine Unternehmenskultur, die auch die Teilzeit bei Führungskräften unterstützt. Ausserdem macht es für Eltern vielfach schon einen grossen Unterschied, wenn Unternehmen beim Anberaumen von Sitzungen Randzeiten vermeiden und auch sonst gegenüber den Bedürfnissen von Eltern mehr Flexibilität zeigen. Wenn dies gleichzeitig die Mitarbeitermotivation erhöht, kommen den Unternehmen diese Investitionen in ihre Mitarbeiter bald auf anderem Wege wieder zugute.
Sehr geehrte Mitglieder des Landtages und der Regierung
Zusätzlich zur Krisenbewältigung sollten wir in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode unsere Ausgangslage für die Zukunft weiter optimieren. Dazu sollten wir insbesondere bei der Energiesicherheit, der Altersstrategie und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie die nötigen Schritte setzen. Für Ihre verantwortungsvolle Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Kraft, Weisheit und Gottes Segen!