Thronreden

18. März 1989

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 18. März 1989

Mit der vorzeitigen Auflösung des alten Landtages ist ein Stück liechtensteinische Geschichte zu Ende gegangen. Der alte Landtag mit seinen 15 Abgeordneten war im grossen und ganzen recht erfolgreich und es ist deshalb bedauerlich, dass er ein vorzeitiges und unrühmliches Ende gefunden hat.

Sie werden in den nächsten Jahren darüber entscheiden, ob der neue Landtag im Volk an Ansehen gewinnen wird oder nicht. Der Landtag wird die ihm in der Verfassung vorgesehene Aufgabe nur dann erfüllen, wenn nicht kleinliche und kurzsichtige Streitereien dominieren, sondern Toleranz und Weitsicht. Die Probleme dieses Landes können Sie offen diskutieren, aber das soll die Suche nach gemeinsamen Lösungen nicht verunmöglichen.

Es ist natürlich, dass sowohl im Landtag wie auch im Volk das Interesse an der Innenpolitik dominiert. Trotzdem bitte ich Sie, die Aussenpolitik nicht zu vergessen. Die aussenpolitische Stellung Liechtensteins war wahrscheinlich nie so stark, als dies heute der Fall ist. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass nicht nur unsere Tüchtigkeit, sondern auch glückliche Zufälle dazu beigetragen haben.

Wir leben in einer Welt, die sich rasch ändert, und wir sollten die Souveränität Liechtensteins besser absichern. Seit Jahren habe ich auf die Notwendigkeit einer UNO-Mitgliedschaft Liechtensteins hingewiesen und den Landtag gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Leider hat der Landtag dieses Problem bis jetzt öffentlich nicht diskutiert und auch keine Entscheidung gefällt. Ich hoffe, dass nach der Volksabstimmung Klarheit herrschen wird über das weitere Vorgehen, und der Landtag zur UNO-Mitgliedschaft Stellung nehmen wird. Auch in Zukunft werde ich Sie solange um eine Stellungnahme bitten, bis Sie entweder einem UNO-Beitritt zugestimmt oder diesen abgelehnt haben.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die Erhaltung der Souveränität für mich nicht das höchste Ziel unserer Aussenpolitik ist. Vielleicht wird die liechtensteinische Bevölkerung einmal den Wunsch haben, Teil eines demokratischen vereinigten Europas zu werden und aus diesem Grund auf die Souveränität verzichten wollen. So einen Wunsch könnte ich verstehen und akzeptieren. Nicht verstehen und akzeptieren würde ich aber den Verlust der liechtensteinischen Souveränität, weil wir nicht fähig waren, eine vernünftige Aussenpolitik zu führen.

Solange die liechtensteinische Bevölkerung sich nicht mehrheitlich für so einen Verzicht auf die Souveränität ausspricht, sehe ich es als meine verfassungsmässige Pflicht an, mich für die Souveränität Liechtensteins und das Selbstbestimmungsrecht der liechtensteinischen Bevölkerung einzusetzen. Der Landtag sollte berücksichtigen, dass uns die Souveränität nicht nur politische, sondern erhebliche finanzielle Vorteile bringt.

Die Tatsache, dass Liechtenstein ein souveräner Staat ist, bringt der öffentlichen Hand Einnahmen, sei es in Form von Steuern, Abgaben, Briefmarkenverkauf oder anderer Art, welche jährlich sich in der Grössenordnung von 100 Millionen Schweizer Franken bewegen dürften. Auch der Privatwirt-schaft fliessen aufgrund der Souveränität Liechtensteins wahrscheinlich ähnlich grosse Beträge zu. Wenn nun gegen eine UNO-Mitgliedschaft Liechtensteins das Argument vorgebracht wird, man kann sich die zusätzlichen Ausgaben von ein paar Hunderttausend Franken nicht leisten, zeigt das nur, dass man offensichtlich die Zusammenhänge noch nicht richtig erkannt hat.

Personen, welche die Geschichte und die Hintergründe der liechtensteinischen Aussenpolitik weniger gut kennen, vertreten häufig die Ansicht, dass die Zukunft Liechtensteins in Europa liegt, und wir eine UNO-Mitgliedschaft nicht brauchen. Auf diese Frage möchte ich etwas ausführlicher eingehen.

Wer sich unsere Exportstatistik betrachtet, wird feststellen, dass kaum ein anderes europäisches Land so viel in Länder ausserhalb Westeuropas ausführt wie Liechtenstein. Auch der Dienstleistungssektor dürfte für europäische Verhältnisse eine ungewöhnlich starke internationale Verflechtung aufweisen. Es kann unserer Wirtschaft deshalb nicht gleichgültig sein, ob Liechtenstein ausserhalb von Europa als souveräner Staat anerkannt wird. Nicht nur für Länder der Dritten Welt ist die fehlende UNO-Mitgliedschaft ein Hinweis, dass Liechtenstein nicht wirklich souverän ist.

Betrachtet man die liechtensteinische Geschichte, ist diese Auffassung verständlich. Das Fürstentum versuchte nach dem Ersten Weltkrieg Mitglied des Völkerbundes zu werden. Nur die Schweiz stimmte dafür, alle anderen Mitgliedstaaten waren dagegen. Der offizielle Grund war das fehlende Militär. Beschäftigt man sich aber etwas mit den Hintergründen dieser Ablehnung, muss man annehmen, dass wir auch mit Militär unser Ziel nicht erreicht hätten. Unter den Mitgliedstaaten des Völkerbundes war die Ansicht vorherrschend, dass so kleine Staaten wie Liechtenstein nicht voll souverän und gleichberechtigt sein können.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es uns nur mit grossen diplomatischen Anstrengungen gelungen, Mitglied des Internationalen Gerichtshofes zu werden – eine Unterorganisation der UNO. Aus den damaligen Verhandlungen war es klar ersichtlich, dass ein Aufnahmegesuch Liechtensteins bei der UNO keine Chance gehabt hätte.

Bis in die Siebzigerjahre hätte Liechtenstein weder Mitglied der UNO noch des Europarates werden können. Von der liechtensteinischen Öffentlichkeit kaum bemerkt, verbesserte sich die aussenpolitische Position unseres Landes erst durch die Einladung zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Diese Einladung verdanken wir nicht zuletzt dem Umstand, dass Liechtenstein bereits 1815 am Wiener Kongress teilnahm.

Trotz dieser aussenpolitischen Positionsverbesserung durch die KSZE waren für die Mitgliedschaft im Europarat wiederum erhebliche diplomatische Anstrengungen notwendig. Dem Europarat kommt heute eine wichtige Brückenfunktion zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der EFTA zu. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass alle grösseren Staaten des Europarates mit Ausnahme der Türkei Mitglieder der EG sind, und auch die Türkei hat in Brüssel einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. In den kleinen Mitgliedsländern des Europarates kann man mehr oder weniger starke politische und wirtschaftliche Gruppen feststellen, die in Richtung EG drängen. Es ist zu hoffen, dass die Bemühungen des Europarates bald von Erfolg gekrönt sein werden, eine ähnliche Brückenfunktion zu den Ländern Osteuropas zu übernehmen.

Falls dies aber nicht gelingt, und nur noch Kleinstaaten in der Grössenordnung Liechtensteins aktive Mitglieder des Europarates sind, und die grösseren Staaten ihre Zusammenarbeit auf das Europaparlament und die anderen Institutionen der EG konzentrieren, wird unsere Mitgliedschaft im Europarat ihre aussenpolitische Bedeutung verloren haben.

Unser zweites Standbein in der Europapolitik ist die KSZE. Aber niemand kann uns garantieren, dass diese Konferenz nicht eines Tages wie der Wiener Kongress zu Ende geht.

Einige werden einwenden, dass wir vor unserer Teilnahme an der KSZE und der Mitgliedschaft im Europarat dank den Verträgen mit der Schweiz auch gut gelebt haben. Ich bitte aber zu berücksichtigen, dass diese Verträge für uns nur so lange ihren Zweck voll erfüllen können, solange die Schweiz nicht Mitglied der EG wird. Sollte die Schweiz Mitglied der EG werden, ist der Zollvertrag in Frage gestellt. Die Schweiz wird uns auch nicht mehr im wirtschaftlichen Bereich diplomatisch vertreten können, denn die Kompetenz, Handelsabkommen abzuschliessen, wird sich von Bern nach Brüssel verlagern.

Persönlich glaube ich kaum, dass die Schweiz in absehbarer Zeit Mitglied der EG wird. Man darf aber nicht übersehen, dass der Bundesrat so eine Mitgliedschaft langfristig nicht ausgeschlossen hat. Die Umfrageergebnisse, die in der Schweiz zu diesem Thema veröffentlicht wurden, zeigen, dass das Schweizer Volk eine EG-Mitgliedschaft nur knapp ablehnt. Dies im Gegensatz zur UNO-Mitgliedschaft, die bekanntlich massiv abgelehnt wurde. Eine Mitgliedschaft der Schweiz in der EG erscheint deshalb aus heutiger Sicht wahrscheinlicher als eine UNO-Mitgliedschaft. Wenn die Schweiz Mitglied der EG wird, so wäre es naheliegend, dass auch Liechtenstein eine Mitgliedschaft anstrebt. Ich halte aber aus verschiedenen Gründen es für wenig wahrscheinlich, dass uns das gelingen wird.

Ein zentrales Element der EG ist die Freizügigkeit, die sich auch auf Personen bezieht. Diese Freizü-gigkeit kann für ein so kleines Land wie Liechtenstein dramatische Folgen haben. Besonders wenn man berücksichtigt, dass wir innerhalb der EG das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen, der niedrigsten Steuerbelastung und der geringsten Arbeitslosenquote wären. Es ist nicht auszuschliessen, dass in so einem kleinen Land wie Liechtenstein sich die Wohnbevölkerung unter solchen Bedingungen innerhalb von wenigen Jahren verdoppelt oder gar verdreifacht. Ich fürchte, dass die politischen Widerstände gegen so eine Entwicklung bei uns sehr stark wären.

Auch die personellen und finanziellen Belastungen einer EG-Mitgliedschaft wären für unser Land beachtlich. Von den Mitgliedsländern der EG wird eine Mitarbeit verlangt, die wesentlich intensiver ist als im Europarat oder erst recht in der UNO. Das bedeutet, dass wir unseren Mitarbeiterstab in verschiedenen Bereichen personell stark aufstocken müssten. Es ist fraglich, ob uns dies bei dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt zu vernünftigen Kosten gelingen wird. Da Liechtenstein das höchste Pro-Kopf-Einkommen und den niedrigsten Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der Ge-samtbevölkerung innerhalb der EG hätte, müsste unser Land mit Abstand den höchsten Pro-Kopf-Beitrag netto an die EG zahlen. Schätzungen über die Höhe des Beitrages sind schwierig. Nach mei-nen Berechnungen könnte die Grössenordnung bei 500 Franken pro Kopf jährlich liegen. Für unser ganzes Land wären das ca. 15 Millionen Schweizer Franken im Jahr, und da stellt sich natürlich die Frage, ob sich vom rein wirtschaftlichen Gesichtspunkt eine Mitgliedschaft lohnt.

Vielleicht ist der Wunsch in der liechtensteinischen Bevölkerung einmal so gross, Mitglied der EG zu werden, dass man bereit ist, die erwähnten Nachteile in Kauf zu nehmen. Es stellt sich dann immer noch die Frage, ob wir das Ziel einer Mitgliedschaft aussenpolitisch gegenüber der EG und den ein-zelnen Mitgliedsländern durchsetzen können. Geprägt von den Erfahrungen der Vergangenheit bin ich skeptisch. Die Mitgliedschaft in der EG lässt sich weder mit dem Europarat noch mit der UNO vergleichen. Jedenfalls bei der heutigen Struktur der EG ist der politische und wirtschaftliche Einfluss des einzelnen Mitgliedslandes enorm, wenn man dies mit anderen internationalen Organisationen vergleicht. Es wird für die über 300 Millionen Europäer in der EG schwer zu verstehen sein, weshalb nicht einmal 30‘000 Liechtensteiner so einen grossen Einfluss auf die europäische Politik ausüben können.

Von verschiedenster Seite wird erwähnt, dass die EG allen demokratischen europäischen Staaten offen steht und auch Luxembourg ein Kleinstaat ist. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass Luxem-bourg mit Abstand das kleinste Mitgliedsland ist und immer noch mehr als zehn Mal soviel Einwoh-ner hat wie Liechtenstein. Ausserdem ist Luxembourg ein Gründungsmitglied der EG.

Was für Alternativen bleiben noch für unser Land, wenn die Schweiz Mitglied der EG wird und wir aus was für Gründen immer draussen bleiben?

In meiner Rede in Feldkirch habe ich versucht zu erklären, wie ein Kleinstaat in der Grösse Liechten-steins auf eigenen Beinen stehen kann. In so einem Fall werden wir mit der EG einen umfassenden Freihandelsvertrag abschliessen müssen. Das genügt aber nicht, denn wir exportieren heute schon weltweit. Wir werden mit möglichst vielen Staaten in der Welt Handelsverträge abschliessen müssen. Dazu werden wir meiner Ansicht nach aber nur in der Lage sein, wenn wir Mitglied der UNO sind. Einerseits muss unsere Souveränität weltweit anerkannt sein, andererseits können wir uns nicht wie die Schweiz einen grossen diplomatischen Apparat leisten. Auch andere Kleinstaaten pflegen ihre internationalen Beziehungen in erster Linie über ihre Vertretung in der UNO.

Falls Liechtenstein nicht rechtzeitig Mitglied der UNO wird, kann es passieren, dass sich die aussen-politisch günstige Position, in der wir uns befinden, verschlechtert. Stehen wir international wieder vor verschlossenen Türen, wie das bis zum Anfang der Siebzigerjahre der Fall war, wird es sehr schwierig, die Souveränität des Landes und das Selbstbestimmungsrecht der liechtensteinischen Bevölkerung zu bewahren.

Parteienstreit hat zur vorzeitigen Auflösung des Landtages geführt. Das politische Leben der vergangenen Jahre war beeinflusst von Streitereien über das Kunsthaus und den Staatsgerichtshof. Die Zahl der Protestwähler hat von Wahl zu Wahl zugenommen, ohne dass es der zersplitterten Opposition gelungen wäre, einen Vertreter in den Landtag zu entsenden. Ich bitte Sie, versuchen Sie zusammenzuarbeiten und gemeinsame Lösungen zu suchen; es geht langfristig um die Existenz dieses Landes. Die europäische Integration ist für uns eine grössere Herausforderung als ein nicht gebautes Kunsthaus und Streitereien in und um den Staatsgerichtshof. Aber selbst diese Probleme sind lösbar, wenn die Parteien ihre starren Positionen aufgeben und wir gemeinsam neue Lösungen suchen. Setzen Sie positive Zeichen an den Anfang dieses historischen Abschnittes mit dem neuen und erweiterten Landtag und Sie werden feststellen, dass das Ansehen dieser so wichtigen Institution in der Bevölkerung wieder zunehmen wird. Für diese Aufgabe wünsche ich Ihnen Toleranz, Weitsicht und Gottes Segen.