12. Mai 1945
Thronrede, Fürst Franz Josef II.
Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages
am 12. Mai 1945
Gemäss Artikel 54 der Landesverfassung eröffne ich hiemit den Landtag und möchte bei dieser Gelegenheit Ihnen, meine Herren Abgeordneten, in kurzen Worten einige Gedanken sagen, die mir gekommen sind, und die ich Sie bitte, bei Ihrer künftigen Tätigkeit zu beherzigen: Die Welt und Europa im Besonderen haben einen sehr schweren Krieg erlebt und unendliche Verluste an Menschen, Hab und Gut erlitten. Nur wenige Länder und darunter unsere Heimat sind von Kriegshandlungen verschont geblieben, doch haben wir seit Jahren unter einem schweren Alpdruck gelebt und die Aspirationen auf die Weltherrschaft haben auch an unserer Grenze nicht Halt gemacht. Vor welchen Gefahren wir verschont geblieben sind, konnte unsere Bevölkerung an den Tausenden von armseligen Flüchtlingen sehen, die betreut vom Mitgefühl unseres Volkes in Schaanwald unsere Grenze überschritten und die von den schweizerischen Behörden zur Weiterleitung in ihre Heimat übernommen wurden. Dass wir vom Kriege nicht stärker heimgesucht wurden, verdanken wir der grossen heimattreuen Mehrheit unseres Volkes, den bestehenden Verträgen mit der wehrhaften und vorsorgenden Schweiz, aber vor allem dem besonderen Schutz und Segen Gottes. Wir können nicht behaupten, dass Gott uns wegen unserer Verdienste geholfen hat, da auch andere friedliebende Völker, wie Belgier und Holländer, unter den Greueln des Krieges zu leiden hatten, sondern wir haben es als eine besondere Gnade des Allmächtigen zu werten, für die wir unsere stete Dankbarkeit durch einen tiefen Glauben an Gottes Güte, aber auch durch den tiefen Glauben und durch die Treue gegen unser Land stets beweisen wollen. Dankbar wollen wir auch anerkennen, dass die engen vertraglichen Beziehungen zur Schweiz uns in besonderer Weise geholfen haben, diese Zeit des Schreckens zu überstehen. Die Zusammenarbeit in der Zeit der Not hat die bestehenden Beziehungen zur Schweiz so vertieft, dass sie nie mehr vergessen werden können und in unserer aller Augen unauflöslich geworden sind. Ich bitte Sie, meine Herren Abgeordneten, mit grossem Mut an die vor Ihnen liegenden Aufgaben heranzutreten. Wir wollen mithelfen, das Leid, das der Krieg gebracht hat, zu lindern. Wir wollen das Wohl des Landes und des Volkes über Alles stellen, durch Einigkeit stark sein und Sorge tragen, dass Jeder in Liechtenstein Arbeit, Auskommen und Fortschritt für sich und seine Familie finden kann.