Thronreden

27. Februar 1946

Thronrede, Fürst Franz Josef II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 27. Februar 1946

Gemäss Artikel 48 der Landesverfassung habe ich den Landtag für die diesjährige Sessionsperiode auf heute mit Verordnung einberufen, und ich möchte den Anlass der Eröffnung benutzen, um Ihnen in dieser neuen Epoche der Weltgeschichte einige Richtlinien für Ihre Arbeit zum Wohle des Landes und Volkes zu geben. Wenn auch der Krieg, vor dessen unmittelbaren Schrecknissen uns die gütige Vorsehung des Allmächtigen beschützt hat, zu Ende gegangen ist, so herrscht doch noch überall in der Welt grosse Unsicherheit und grosse Unruhe. Es gibt der Probleme, die die Welt nach all den Zerstörungen von Menschenleben und Gütern, die Jedes geahnte Ausmass weit überschritten haben, zu lösen hat, gar zu viele, als dass sie in der relativ kurzen Zeit seit Eintritt der Waffenruhe einer befriedigenden Lösung hätten zugeführt werden können. Dazu kommt, dass immer wieder Kräfte an der Arbeit sind, die in dieser unruhigen Zeit grössere Ansprüche stellen als andere ihnen zugestehen können, und dass diese Ansprüche weniger durch Recht als durch Gewalt durchgesetzt werden sollen.

Der vergangene Krieg wird als Krieg mit totalem Einsatz bezeichnet Alle Mittel des Geistes, der Menschenkraft, der Produktion, der Politik und der Propaganda wurden in seinen Dienst gestellt und alle Gedanken und Handlungen auf sein Endziel ausgerichtet. Der Krieg war zum beherrschenden Faktor geworden, und wenn er nun auch zu Ende ist, so haben doch die Kräfte, die nur für ihn arbeiten, noch nicht voll sich auf den Frieden umstellen können, und die Geister sind noch nicht zu Ruhe gekommen. Das Ideal des Rechtstaates kann erst langsam sich durchsetzen, und Hass und Rache müssen aus dem Zusammenleben der Staaten und Völker und der Staatsbürger unter sich wieder ausgemerzt und Gleichberechtigung der Staaten und Zusammenarbeit aller zum Wohle der gesamten Menschheit müssen allseits angestrebt werden.

Der vergangene Krieg hat, wie Jeder Krieg, den Wert des Menschenlebens herabgesetzt und viel Verwirrung in das Gedankengut der Menschen getragen. Vor diesen Folgen schützten keine Grenzen, weder gut bewachte noch offene, und es ist Pflicht der Männer, die das Volk zu seinen Vertretern erwählte, den Weg zu weisen, auf dem das harmonische Zusammenleben der Staatsbürger am schnellsten und sichersten erreicht werden kann. Die Verfolgung dieses Zieles ist Inhalt des Eides, den Sie, meine Herren Abgeordneten, mit folgenden Worten geleistet haben:


Ich gelobe, die Staatsverfassung und die bestehenden Gesetze zu halten und in dem Landtage das Wohl des Vaterlandes ohne Nebenrücksichten nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern, so wahr mir Gott helfe!»

Der Krieg hat von allen Opfer verlangt, er hat aber auch bewirkt, dass man erkannte, dass die natürlichen Werte eines Landes die Stützpfeiler seiner Volkswirtschaft sein müssen. Diese Erkenntnis gilt es hinüberzuretten in die Friedenszeit. Die Pfeiler unserer Wirtschaft sind einerseits unser Vertragsverhältnis mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft, dem wir die Versorgung während des Krieges und geordnete Verhältnisse verdanken, und andererseits die natürlichen Hilfsquellen, die in unserem Boden und in der Arbeitskraft und im Arbeitsfleiss unseres Volkes liegen. Das Land hat in den letzten Jahren die Erträgnisse der Volksund Staatswirtschaft in den Bau des Binnenkanals und in die Meliorisierung des Bodens investiert, und dies war ein Segen für uns. Für die Zukunft glaube ich, dass die Finanzgebarung unseres Landes gesund sein wird. Dies ist möglich, wenn immer auf einer realen Basis weitergebaut wird und wenn man nicht den Blick nur auf Wunschträume richtet, die ja manchmal das Leben scheinbar schöner und leichter machen, vor denen aber das Verantwortungsbewusstsein eines Volksvertreters Halt machen muss.

Meine Herren Abgeordneten! Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie in echt liechtensteinischem Geiste an Ihre Arbeit herangehen werden und dass nüchterne Beurteilung und Sparsamkeit, die als liechtensteinische Tugenden gepriesen werden, jedes Ihnen zur Beschlussfassung vorgelegte Projekt auf seinen Nutzen für das Volksganze prüfen werden und dass dadurch dieses Jahr der parlamentarischen Arbeit ein Jahr des gesunden organischen Aufbaues unserer Wirtschaft wird. Die Verantwortung, mit der Sie Ihre Arbeit in der gesetzgebenden Behörde erledigen, muss für die anderen hart arbeitenden Bürger ein leuchtendes Beispiel sein.

Damit erkläre ich die diesjährige Session des Landtages als erffnet, und ich wünsche Ihrer Arbeit einen vollen Erfolg.