18. März 1959
Thronrede, Fürst Franz Josef II.
Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages
am 18. März 1959
Gemäss den Bestimmungen unserer Verfassung habe ich den Landtag heute zur Eröffnung der diesjährigen Legislaturperiode einberufen und werde zu diesem Anlasse in einigen Worten über spezielle Aufgaben und Probleme sprechen, die sich dem Landtag in dieser Sessionsperiode stellen dürften.Ich denke dabei vor allem an das Gesetz über die Invalidenversicherung, das dem Landtag zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt wird. Wir wollen zwar in Liechtenstein nicht jenen übertriebenen Typus des Wohlfahrtsstaates entwickeln, der den Individualismus und schliesslich auch die Freiheit beschränkt/ doch werden wir durch gesetzliche Massnahmen Vorsorge treffen, um den Körperbehinderten wenigstens auf materielle Weise in ihrem Unglück zu helfen. Es ist dies unsere Pflicht als Christen. Zu den Sozialgesetzen/ die in näherer Zeit zur Behandlung kommen werden, gehört auch die Revision der Alters- und Hinterbliebenenversicherung. Der Landtag wird sich dabei vor allem mit der Frage zu befassen haben, bis zu welcher Höhe im Rahmen des Möglichen die auszuzahlenden Renten hinaufgesetzt werden können, eine Angelegenheit, an der grosse Kreise unserer Bevölkerung lebhaft interessiert sind.Eine weitere Angelegenheit, die in die Zuständigkeit des Landtages fällt, betrifft die rechtliche Stellung nicht katholischer Religionsbekenntnisse in unserem Lande. Im Artikel 37 unserer Verfassung ist die römisch-katholische Kirche als Landeskirche erklärt, doch wird gleichzeitig den Landesbürgern und auch den hier wohnenden Ausländern die Bekenntnisfreiheit garantiert. Da in der letzten Zeit infolge des Zuzuges zahlreicher Ausländer die Gruppe andersgläubiger Christen sich in unserem Lande vergrösserte, so besteht von dieser Seite der begreifliche Wunsch, eine finanziell und rechtlich gesicherte Grundlage zu haben, um ihr Bekenntnis leichter ausüben zu können. Infolgedessen werden finanzielle, pädagogische und standesamtliche Fragen abzuklären sein.In dieser Sessionsperiode wird auch die viel besprochene Abänderung unseres Steuerrechtes den Landtag beschäftigen. Da die Zeit für eine den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten entsprechende Neufassung des Gesetzes offensichtlich noch nicht da ist, so sollte eine Novellierung wenigstens die steuerliche Besserstellung der wirtschaftlich schwachen Kreise und eine entsprechende steuerliche Entlastung der Familien bringen. Der Ausfall an Steuer müsste dann durch eine gewisse Mehrbelastung der finanziell Stärkeren hereingebracht werden.Im Rahmen des im vergangenen Jahre beschlossenen Jugendschutzgesetzes wird sich die Notwendigkeit ergeben, einen Fachjuristen bei der Regierung anzustellen, der den im genannten Gesetze umschriebenen Aufgabenkreis zu bearbeiten hat Es wird hiebei im Zusammenhang mit der bereits angelaufenen Verwaltungsreform die Frage abzuklären sein, inwieweit dieser Jurist gleichzeitig für die allgemeinen juristischen Fragen der Landesverwaltung herangezogen werden kann.Bevor ich meine Ansprache schliesse, möchte ich hinweisen auf die grossen Umgruppierungen, die Jetzt in den gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen der europäischen Staaten vor sich gehen. Die europäische Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Staaten ist bereits in Kraft getreten. Es gibt weite Kreise in Europa, die nicht nur eine enge wirtschaftliche, sondern auch eine engere politische Bindung und Zusammenarbeit aller europäischen Staaten anstreben. Unser Land hat auf der Basis von Staatsverträgen eine wirtschaftliche Union mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft abgeschlossen, die sich - wie wir alle wissen - für die Wirtschaft unseres Landes in ausgesprochen positiver Form auswirkt. Die berechtigten Interessen Liechtensteins wurden in den fast vier Jahrzehnten des Bestehens unserer Wirtschaftsunion von der um so viel stärkeren Schweiz immer in der loyalsten Form berücksichtigt Falls die Entwicklung zur Zusammenarbeit der europäischen Staaten weitergeht wird der Entschluss Liechtensteins, welchem der neuen Wirtschaftsräume es sich anschliesst, zweifellos unter Berücksichtigung der so fruchtbaren Verbindung mit der Schweiz getroffen werden. Es wird aber Sache der Staatsführung sein, darauf zu achten, dass Liechtenstein in diesen neuen Gruppierungen den ihm zukommenden Platz als souveräner Staat einnehmen kann.Ich wünsche dem Landtag für die neue Sessionsperiode Gottes Segen und den Beistand des Heiligen Geistes und erkläre die diesjährige Legislaturperiode für eröffnet.