Thronreden

17. April 1968

Thronrede, Fürst Franz Josef II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 17. April 1968



Ich habe Sie zur Eröffnung der diesjährigen Sessionsperiode des Landtages einberufen und werde heuer, im Gegensatz zu den letzten Jahren, Ihnen Probleme allgemeiner Natur des Landes darlegen, wie sie sich Jetzt und in der näheren und weiteren Zukunft stellen werden. Ich verzichte heute darauf, Fragen zu erörtern, welche durch spezielle Gesetzeswerke in dieser Sessionsperiode eine Lösung finden.

Die gesetzgeberische Tätigkeit des Landes, auf welche ich in meinen letzten Eröffnungsreden hingewiesen habe, zeigt das grosse Interesse, unser Land sowohl im eigenen Rahmen als auch im Hinblick auf die engen Verbindungen mit der Schweiz weiterzuentwickeln und ihm eine sichere Existenz zu geben. Der Wille, die Heimat zu erhalten und fortlaufend auszubauen, tut sich auch Jeden Tag durch die Einstellung des liechtensteinischen Volkes kund. Dies hat aber zur Voraussetzung, dass das Volk auch in der Zukunft eine entsprechende Wohn- und Lebensmöglichkeit im Lande findet.

Wenn wir auch immer wieder von der Möglichkeit hören, die Bevölkerungsvermehrung auf der Welt einzuschränken, so muss uns doch klar sein, dass dies nur in einem gewissen Ausmass möglich ist und auch in Europa eine Bevölkerungsvermehrung, zumindest eine langsame, weiterhin stattfinden wird. Die moderne Industriewirtschaft, so wie sie jetzt in der westlichen Welt existiert, braucht auf jeden Fall diese Bevölkerungsvermehrung, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Man muss daher voraussehen, dass sich die Dichte der Besiedlung, speziell in Europa, noch verstärken wird. Dieses Problem wird sich für jedes Land stellen, ob nun Europa stärker oder schwächer integriert ist. Ob eine supranationale Vereinigung Europas, welche die einzelnen Staaten als mehr oder minder selbständige Bundesstaaten umfasst und diesen neben den wirtschaftlichen auch andere wichtige Aufgaben abnimmt, einmal zustande kommen wird, ist gegenwärtig nicht abzusehen. Es ist unsere Aufgabe, als souveräner Staat unsere Probleme im Rahmen einer europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit allein zu ordnen und zu erledigen. Ich bin überzeugt, dass die Liechtensteiner erkennen werden, dass es ihre Verpflichtung ist, welche ihnen niemand abnehmen kann, im Rahmen unserer Grenzen den Wohnungs-, Ernährungs- und Erholungsraum auch für eine grössere Bevölkerungszahl in der Zukunft zu sichern. Es ist zu begrüssen, dass dieses Problem seit einiger Zeit auf einer politisch breiteren Basis erörtert wird und so schrittweise aus dem Meinungsstreit der verschiedenen Gruppen herauswächst. Dies ist ja eine Frage, welche das ganze liechtensteinische Volk angeht. Die Lösung ist schwierig, stossen doch scheinbar in unvereinbarerweise Interessen der Privaten, der Gemeinden und Genossenschaften mit den Interessen des ganzen Landes zusammen. Aber auch da wird sich eine dauerhafte und gute Lösung finden lassen.

Das liechtensteinische Volk kann hier nur in grösserer Zahl leben, wenn es im Lande seinen Erwerb findet und auch die Gemeinden und der Staat das notwendige Geld bekommen, um die allgemeinen Interessen zu wahren. Wir können glücklich sein, dass seit den letzten Jahrzehnten in dieser Beziehung eine gesunde Entwicklung eingesetzt hat, indem die Industrie und auch das Gewerbe so erstarkt sind, dass ihre Produktion das Leben des Volkes sicherstellt und so diese Aufgaben die Landwirtschaft nicht mehr allein tragen muss. Die Industrie, welche in einem Grossteil der Länder der freien Welt vom Export lebt, ist in Liechtenstein, begründet durch die Kleinheit unseres Landes, in einem besonders grossen Masse darauf angewiesen, fast alle Produkte zu exportieren. Ich bin überzeugt, dass trotz der Tendenz vieler Industrien in der Welt, sich zu immer grösseren Konzernen zusammenzuschliessen, und dem Wunsche, in Europa die Zollschranken zum Verschwinden zu bringen, die liechtensteinische Industrie, generell gesehen, sich behaupten wird. Wir brauchen uns nur vor Augen zu führen, wie gebürtige Liechtensteiner aus kleinen Gewerbebetrieben bedeutende Unternehmen entwickelt haben. Durch die Spezialisierung ihrer Produkte oder die Sicherung eines entsprechenden europäischen oder weltweiten Marktanteiles ihrer Produkte haben diese Industrien einen festen Stand erreicht. Wir müssen uns aber erinnern, dass auch ausländische Fachleute und Kapitalgeber interessante Industrien aufgebaut haben und dass unser wirtschaftliches Leben eine erfreuliche Entwicklung genommen hat dank der Beratung und Mitarbeit von ausländischen Fachleuten und Arbeitern. Um sich gegenüber der Konkurrenz ausländischer Unternehmen zu behaupten, müssen unsere Industrien und Gewerbebetriebe, je nach der Art ihrer Richtung und Produktion, eine gewisse Grosse haben, damit die notwendige Rationalisierung und Automatisierung durchgeführt werden kann. Es wäre naiv zu glauben, dass sich Industrien und Gewerbebetriebe der fremden Arbeitskräfte einfach entledigen könnten, indem sie ihre Produktion schrumpfen lassen. Diese Schrumpfung der Produktion bedeutet stets Verteuerung, somit ein Hindernis beim Absatz und damit wieder eine verminderte Rentabilität, welche dann von einer gewissen Grenze an zu einer Schliessung der Betriebe führt. Unsere Arbeiterschaft findet auf die Dauer gesehen nur Arbeit in Betrieben, die auf gesunden Füssen stehen.

In Anbetracht der lebenswichtigen Rolle der Industrie und des Gewerbes für das Land muss es unsere Politik sein, alles vorzukehren, um sie gesund und kräftig zu erhalten, und alles zu vermeiden, was einen Faktor im Wirtschaftsleben schädigt. Wir haben uns auch stets vor Augen zu halten, dass uns gewisse Grenzen gesetzt sind durch die Entwicklung zu grösserer Freizügigkeit und Verflechtung in Europa. Dagegen können wir uns nicht stemmen, ohne Nachteil für das Land und seine Wirtschaft. In einem solchen Europa wird sich die tüchtige Arbeitskraft den Arbeitsplatz suchen, der ihr am besten entspricht und sehr empfindlich auf jede Missachtung der Menschenwürde und Praktiken des Frühkapitalismus reagieren. Die beste Politik wird immer die sein, in jedem Menschen den Bruder zu sehen und seine menschliche Würde zu achten. Nur so werden wir uns das Vertrauen und die Freundschaft des Auslandes erhalten und uns des Segens Gottes würdig erweisen.

Es ist sehr zu begrüssen, dass jetzt für junge Liechtensteiner die Möglichkeiten, sich zu bilden, vervollkommnet und verbreitert werden, damit sie in immer grösserer Anzahl neben den ausländischen Fachkräften in der Wirtschaft tätig sein können. Es sind jetzt die Grundlagen dafür gelegt worden. In diesem Zusammenhang brauche ich nur auf das Abendtechnikum in Vaduz, die Beteiligung Liechtensteins am entstehenden Technikum in Buchs und auf die teilweise Deckung der Studienkosten durch die Stipendienregelung hinzuweisen. Hier ist auch das liechtensteinische Gymnasium zu erwähnen. Mit Recht sind die Liechtensteiner glücklich und den Schulbrüdern dankbar, dass sie in Liechtenstein eine Schule führen. Auch der Ausbau des Volksschulwesens und der Realschulen ist richtig. So können wir hoffen, dass im Laufe der Jahre jeder Liechtensteiner die ihm entsprechende Ausbildung und Beschäftigung finden wird.

Bevor ich schliesse, möchte ich noch auf eine Frage hinweisen. Es ist eine Folge der Ausbildung der sogenannten modernen Industriegesellschaft und der Steigerung der Lebenserwartung, dass alte Menschen, die früher von ihren Verwandten aufgenommen waren, heute öfter andere Möglichkeiten der Unterkunft und der Pflege benötigen. Wir werden uns in Liechtenstein in der nächsten

Zeit mit diesem Problem befassen müssen. So würden wir in erfreulicherweise unser gut ausgebautes Sozial- und Fürsorgewesen erweitern.

Für Ihre Arbeit, meine Herren Abgeordneten, wünsche ich Ihnen den Segen Gottes und den Beistand des Heiligen Geistes und erkläre die Sessionsperiode 1968 des Landtages für eröffnet.