23. März 1972
Thronrede, Fürst Franz Josef II.
Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages
am 23. März 1972
Das tägliche Leben fordert immer wieder vom einzelnen Menschen Entscheidungen und dann den Einsatz seiner Person. In schwierigen Zeiten wird ihm das in besonders eindringlicher Weise vor Augen geführt. Die gleiche Forderung richtet sich an menschliche Gemeinschaften, wie unser Volk.Jeder von uns ist sich normalerweise bewusst, dass man einer notwendigen Entscheidung nicht ausweichen kann. Man muss, wenn man nach reiflicher Überlegung den einzuschlagenden Weg und das Ziel, welches man sich gesteckt hat, kennt, den moralischen Mut haben, entsprechend zu handeln. Ehe man die notwendige Erkenntnis erarbeitet hat, wird man natürlich sich noch nicht festlegen und die Angelegenheit in Schwebe lassen. Aber seien wir uns bewusst, dass diese Handlungsweise keine Dauerlösung ist, sondern nur eine Pause bedeutet, solange man noch nicht das vor einem liegende Problem durchdacht hat. Man könnte, glaube ich, sagen, einer Entscheidung prinzipiell auszuweichen, ist schädlicher und weniger klug, als einmal sich geringfügig zu irren. Wie ich gerade erwähnte, beziehen sich diese meine Überlegungen auch auf unsere Gemeinschaft, das liechtensteinische VolkWir wissen, dass durch die grosse und schnelle wirtschaftliche und technische Entwicklung in unserem Lande zwar die materielle Position des Bürgers und des Staates in einem früher nicht geahnten Masse verbessert wurde und unserem Staatswesen auch grosse Möglichkeiten der Entwicklung eingeräumt wurden. Andererseits aber hat dies die Problemstellungen, welchen sich unser Staat und damit das liechtensteinische Volk gegenübersieht, vervielfacht. Der Liechtensteiner beruft seine politischen Mandatare, um sie in betonterweise zu betrauen mit der Erforschung, Bearbeitung und Entscheidung in allen Fragen, welche das Interesse des Landes und seines Volkes berühren. Die Inhaber der politischen Ämter sehen sich in einem, man muss es eingestehen, oft für sie kaum überschaubaren Masse, Problemen und Entscheidungen gegenüber, wenn sie auch durch Fachkräfte, wie die Staatsbeamten, als ihre Gehilfen, unterstützt werden. Es ist ein interessantes, aber schwieriges Feld der Betätigung, das sich den dazu Berufenen darbietet. Vernunft und moralischer Mut werden auf eine Probe gestellt, welche in Ansehung der grossen, in der übrigen Welt vor sich gehenden Veränderungen um so härter ist. Wir sind vor allem betroffen durch die Veränderungen, welche sich in Europa anbahnen. Liechtenstein kann sich glücklich schätzen, dass es auf dem Wege in einer sich ändernden Umwelt die Schweiz als einen starken, aufrichtigen und bewährten Freund hat. Die Loyalität unserem Freunde, der Schweiz, gegenüber gebietet uns, dass wir uns nicht passiv verhalten, sondern eine klare Linie befolgen und so ihre freundschaftliche Hilfe erleichtern. Auch die Klugheit gibt uns diesen Ratschlag.Ich bin überzeugt, dass wir gleich wie in der Vergangenheit, so in der Zukunft, den Weg zum Wohle und Segen unseres Landes werden finden können.Da ich meine Landtagsreden sowohl an den Landtag, als an das Volk richtete, habe ich mich entschlossen, da die jetzige Zeit es erfordert, einmal hinzuweisen auf die notwendige Einstellung, wie diese die künftige Entwicklung Liechtensteins verlangt.Ich möchte nun noch Ihnen, meine Herren Abgeordneten, für die diesjährige Sessionsperiode des Landtages Gottes Segen und Beistand wünschen und erkläre hiermit den Landtag für eröffnet.