Thronreden

08. April 1987

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 8. April 1987



Mit grosser Freude habe ich festgestellt, dass der Landtag die Absicht hat, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen, das mir besonders am Herzen liegt, und zwar der Aussenpolitik. Es ist ein Bereich der liechtensteinischen Politik, der im Volk bis jetzt nur auf wenig Interesse gestossen ist und deshalb vom Landtag selten ausführlich behandelt wurde.

Immer wieder habe ich in Reden, sei es hier vor dem Landtag oder anderswo, auf die Bedeutung der Aussenpolitik, besonders für den Kleinstaat hingewiesen. Für den Kleinstaat ist die Aussenpolitik das wichtigste Instrument, mit dem er sein Selbstbestimmungsrecht und seine Unabhängigkeit bewahren kann. Ein grosser Staat kann sich notfalls auf sein militärisches Potential verlassen.

Aus diesen Gründen ist die liechtensteinische Geschichte geprägt durch eine Aussenpolitik, bei der über Jahrhunderte das friedliche Zusammenleben gleichberechtigter Staaten und ihre Zusammenarbeit zum Wohle der Bevölkerung im Vordergrund standen.

Die Pflege der guten Beziehungen zu unseren Nachbarn muss so wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft an erster Stelle stehen. Seit dem Ende des Mittelalters leben wir in Frieden mit unseren beiden Nachbarstaaten. Durch kriegerische Ereignisse wurde Liechtenstein nur dann bedroht, wenn die Schweiz oder Österreich bedroht waren. Es sind nicht nur die abgeschlossenen Verträge, welche die Grundlage sind für unsere guten Beziehungen zur Schweiz und Österreich. Bekanntlich hat Liechtenstein erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfassende Verträge mit Österreich abgeschlossen, die nach dem Ersten Weltkrieg durch ähnliche Verträge mit der Schweiz abgelöst wurden. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass hauptsächlich Liechtenstein aus diesen Verträgen Nutzen gezogen hat. Sowohl für Österreich wie auch dann für die Schweiz war der Abschluss dieser Verträge von untergeordneter Bedeutung. Es war eine Hilfeleistung an unsere wirtschaftliche Entwicklung.

Waren in früheren Zeiten die Beziehungen mit der Schweiz und Österreich durch gegenseitiges Verständnis und Sympathie geprägt, so muss von liechtensteinischer Seite seit diesen Verträgen zusätzlich das Gefühl der Dankbarkeit erwähnt werden. So wie in der Vergangenheit, so werden auch in der Zukunft die Verträge mit unseren beiden Nachbarstaaten einem Wandel unterliegen und den Verhältnissen angepasst werden. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat die Grundlagen dafür geschaffen, dass auch in absehbarer Zukunft die Beziehungen zur Schweiz für Liechtenstein im Vordergrund stehen werden.

Betrachten wir die liechtensteinische Geschichte vergangener Jahrhunderte, so stellen wir fest, dass sich unsere Aussenpolitik nicht nur auf die Pflege guter nachbarschaftlicher Beziehungen beschränkt hat. Liechtenstein würde heute nicht mehr existieren, wenn unsere Aussenpolitik sich in entscheidenden Phasen nicht auch multilateral ausgerichtet hätte. Am Beginn der Unabhängigkeit stand die Verleihung der Reichsunmittelbarkeit an dieses Land durch den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war Liechtenstein ein kleines aber aktives Mitglied. Ohne die Mitgliedschaft im Rheinbund und die Teilnahme am Wiener Kongress 1815 wäre Liechtenstein im napoleonischen Zeitalter wie hunderte andere Kleinstaaten verschwunden. Obwohl mit hohen finanziellen Lasten für den damals sehr armen Staat verbunden, fand auch die Mitgliedschaft im Deutschen Bund die Unterstützung in den politisch interessierten Kreisen des Volkes. Als der Deutsche Bund unter dem Druck nationalstaatlichen Denkens zusammengebrochen war, verschwand für längere Zeit die letzte Vereinigung europäischer Staaten, in der Liechtenstein mitarbeiten konnte.

Die erzwungene Abwesenheit der Kleinstaaten vom internationalen Parkett hat für diese nur Nachteile gebracht. Es setzte sich in entscheidenden politischen Kreisen die Auffassung durch, dass Kleinstaaten ein Relikt der Vergangenheit seien, die man nicht als normale oder gleichberechtigte Staaten betrachten kann.

Mit der Gründung des Völkerbundes bot sich nach dem Deutschen Bund das erste Mal wieder eine internationale Vereinigung von Staaten an, in der Liechtenstein hätte mitwirken können. Obwohl das Land in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckte, gab es keine Kritik an der Absicht der Regierung, eine Mitgliedschaft im Völkerbund anzustreben. Leider war damals die Stimmung bei den grossen Staaten bereits so negativ gegenüber Kleinstaaten, dass nur die Schweiz für Liechtenstein stimmte. Glücklicherweise zeichnet sich seit der Mitte der Siebzigerjahre ein Gesinnungswandel ab. Ein wichtiger Durchbruch für die liechtensteinische Aussenpolitik war die Teilnahme an der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, welche auch aus liechtensteinischer Sicht gewisse Parallelen mit dem Wiener Kongress aufweist. Diese Teilnahme hat sicher auch dazu beigetragen, dass Liechtenstein Mitglied des Europarates werden konnte.

Derzeit könnten wir Mitglied der UNO werden und damit ein Ziel erreichen, das unsere Grossväter 1920 mit der Mitgliedschaft beim Völkerbund angestrebt haben. Die Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungsrecht Liechtensteins würde dadurch weltweit anerkannt werden. Gegenüber 1920 sind aber noch weitere Gründe dazugekommen, welche es als richtig erscheinen lassen, am damaligen Ziel festzuhalten: Die allgemeine wirtschaftliche Lage und die finanzielle Situation des Staates haben sich entscheidend verbessert;

die Pflichten einer UNO-Mitgliedschaft sind sehr viel geringer als damals beim Völkerbund; insbesondere stellt das fehlende Militär kein Problem mehr dar; die liechtensteinische Industrie exportiert über 40 % ihrer Produkte ausserhalb Europas und die weltweite Verflechtung unserer gesamten Wirtschaft nimmt weiterhin stark zu; die liechtensteinische Bevölkerung benützt immer häufiger die Gelegenheit, die Welt zu bereisen.

Eine UNO-Mitgliedschaft Liechtensteins muss man als zeitgemässe Fortsetzung unserer traditionellen Aussenpolitik betrachten. Wenn wir beitreten wollen, sollten wir es jetzt tun, denn wir wissen nicht, ob politische Veränderungen in der Welt wiederum einen Beitritt Liechtensteins verunmöglichen werden.

Nicht nur die UNO-Mitgliedschaft, sondern unsere gesamte Aussenpolitik ist nur dann sinnvoll, wenn wir überzeugt sind, dass ein Kleinstaat wie Liechtenstein auch längerfristig eine Überlebenschance hat. Ohne diese Überzeugung wird die Aussenpolitik zum Selbstzweck und damit eine Verschwendung von Zeit und Geld.

Es war in der Vergangenheit nicht immer leicht, an die Zukunft des Kleinstaates zu glauben. Sowohl in der Politik wie auch in der Wirtschaft dominierte bis vor kurzem die Auffassung, dass nur die Grossen eine Überlebenschance haben.

Ich bin überzeugt, dass Kleinstaaten eine Zukunft haben, und wenn wir es wollen, auch unser Land. In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder diese Überzeugung sehr offen ausgesprochen und bin deswegen von verschiedenster Seite kritisiert worden. Ich werde auch weiterhin diese klare Haltung beibehalten, da ich glaube, dass die Mehrheit des Volkes ebenfalls von der Zukunft unseres Landes überzeugt ist. In kritischen Zeiten haben sich unsere Väter und Grossväter für die Unabhängigkeit dieses Landes eingesetzt. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, als die Bevölkerung arm und Europa unruhig war, wäre ein Verzicht auf die Selbständigkeit politisch vielleicht einfacher und wirtschaftlich vorteilhafter gewesen. In der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts wäre aber ein Verzicht auf die Selbständigkeit nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich von Nachteil.

Wenn Sie im Landtag über die Aussenpolitik diskutieren werden, darf ich Sie bitten, diese nicht isoliert zu betrachten. Aussenpolitik kann auf Dauer nicht Selbstzweck sein, sondern muss in der gesamten Politik des Landes integriert und vom Volk getragen werden. Eine gute Politik ist längerfristig nur dann möglich, wenn wenigstens in wichtigen Bereichen mehr oder weniger übereinstimmende Vorstellungen über die Zukunft dieses Landes bestehen.

Das Volk hat ein Recht darauf zu wissen, wie seine Vertreter im Landtag über die Zukunft des Kleinstaates Liechtensteins denken. Besonders für unsere Jugend ist eine klare Aussage über die Zukunft unseres Landes wichtig. Wenn wir ihr darauf keine Antwort geben können, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn die Jugend sich von der Politik abwendet, Angst vor der Zukunft hat und kurzfristige und egoistische Motive ihr Verhalten prägen.

In den vergangenen Jahrzehnten ist Liechtenstein und seine Umwelt einem starken Wandel unterworfen gewesen. Vieles ist dabei untergegangen oder zerstört worden, aber es wurde auch viel Positives geleistet. Die Gelegenheit bietet sich an, kritisch die Vergangenheit und die Zukunft zu betrachten sowie darüber zu diskutieren, welchen Weg wir gemeinsam gehen wollen. Die wichtigste Entscheidung wird sein, ob wir unser Selbstbestimmungsrecht behalten oder aufgeben wollen. Im einen Fall werden andere bestimmen, in welche Richtung wir marschieren, und wir brauchen uns darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Im anderen Fall müssen wir selbst nachdenken, welchen Weg wir gehen wollen. Das ist zwar anstrengender, aber ich glaube, die Mühe lohnt sich.

Wenn Sie diese grundlegenden Fragen der Zukunft Liechtensteins offen diskutieren, wird man diese Diskussion mit grossem Interesse verfolgen. Für diese schöne Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen.