04. März 1991
Thronrede, Fürst Hans-Adam II.
Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages
am 5. März 1991
Das Jahr 1990 ist für unser Land aussenpolitisch sehr erfolgreich verlaufen: die Aufnahme Liechtensteins in die UNO, eine weitere Vertiefung unserer Beziehungen zur Schweiz und, vielleicht im Augenblick das Wichtigste, eine sehr günstige Ausgangsposition bei den europäischen Integrationsgesprächen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden in Europa Integrationsgespräche geführt, aber es ist das erste Mal, dass das Fürstentum Liechtenstein als vollwertiger Verhandlungspartner an solchen Gesprächen teilnimmt. Durch die bevorstehende Mitgliedschaft bei der EFTA werden wir diese Position weiter festigen können. Diese Leistungen sind um so beachtlicher, als sie mit einem sehr kleinen aussenpolitischen Apparat bewältigt wurden. Die Regierung und Teile der Landesverwaltung waren allerdings durch die Aussenpolitik noch zusätzlich belastet.Die EWR- Verhandlungen stehen auch dieses Jahr im Mittelpunkt unseres Interesses und unserer Anstrengungen, nachdem sie letztes Jahr nicht wie erhofft erfolgreich beendet werden konnten. Es ist derzeit unklar, ob diese Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden können. Sicher ist nur, dass die hohen Erwartungen der EFTA-Staaten nicht erfüllt werden, was das Mitentscheidungsrecht bei Beschlüssen der EG betrifft. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb voraussichtlich die meisten EFTA-Staaten in absehbarer Zeit eine Vollmitgliedschaft bei der EG anstreben werden. Realistischerweise müssen wir zumindestens mit der Möglichkeit rechnen, dass auch die Schweiz Schritte in Richtung Vollmitgliedschaft unternehmen wird. Aus innen- und aussenpolitischen Gründen erscheint mir aber eine Mitgliedschaft Liechtensteins bei der heutigen Struktur der EG wenig sinnvoll. Für unser Land würde so eine Entwicklung bedeuten, dass die enge Anlehnung an die Schweiz in Politik und Wirtschaft in der bisherigen Form kaum mehr möglich wäre. Eine Situation, von der ich schon lange fürchte, dass sie eines Tages eintreten könnte.Sollte die Schweiz Mitglied der EG werden und wir nicht, so sind wir heute darauf besser vorbereitet als noch vor ein paar Jahren. Selbst wenn die engen Beziehungen mit der Schweiz aufrechterhalten werden können, wird uns die Aussenpolitik auf absehbare Zeit personell und finanziell zusätzlich belasten.Nachdem wir ein sehr kleiner Staat mit beschränkten Ressourcen sind, müssen wir klare Prioritäten setzen.Die Frage stellt sich, ob der Staat nicht weniger wichtige Bereiche aufgeben sollte. Ein Rückzug des Staates aus Tätigkeiten, die ebensogut von der Privatwirtschaft übernommen werden können, ist gewöhnlich für alle Beteiligten von Vorteil. In einer nur einigennassen funktionierenden Marktwirtschaft arbeiten private Organisationen auf Dauer immer effizienter als der Staat.Marktwirtschaft ist nur dort denkbar, wo es auch Konkurrenz gibt. Das bedeutet aber Kampf um Marktanteile, wobei die effizienteren Konkurrenten zu Lasten der weniger effizienteren Marktanteile gewinnen. So ein Wettkampf ist mit Risiken verbunden, und eine Beteiligung des Staates daran erscheint in den wenigsten Fällen sinnvoll. Ist das staatliche Unternehmen erfolglos, wird dem Staat vorgeworfen, dass er Steuergelder verschwendet. Ist das staatliche Unternehmen erfolgreich, wird die Konkurrenz dem Staat vorwerfen, dass er das eigene Unternehmen auf Kosten der Konkurrenz bevorteilt.Der Staat soll sich im Konkurrenzkampf der Marktwirtschaft auf die Rolle des Schiedsrichters beschränken und nicht versuchen, gleichzeitig auch noch Spieler m sein. Ausnahmen sollte es nur dort geben, wo die Privatwirtschaft nicht oder noch nicht tätig ist. Als Beispiel möchte ich in unserem Land die Gasversorgung nennen. Aus Umweltschutzgründen und um eine Alternative in der Energieerzeugung zu haben, war der Aufbau eines Unternehmens zur Gasversorgung mit Steuergeldern wahrscheinlich richtig. Man sollte sich aber jetzt schon Gedanken machen, wann man dieses Unternehmen privatisieren kann.m der politischen Praxis stösst die Privatisierung von staatlichen Unternehmen auf sehr viel grössere Widerstände als die ursprüngliche Gründung, selbst dann, wenn die weitere Beteiligung des Staates an dem Unternehmen mit Kosten und Risiken verbunden ist. Ich möchte dies an einem Beispiel aus einem Wirtschaftszweig darlegen, den ich gut kenne, und zwar aus dem Bankbereich.Rechnet man die Ausschüttungen der Landesbank an den Staat über die letzten zwanzig Jahre zusammen, so beträgt die Summe ungefähr neunzig Millionen Schweizer Franken. Im gleichen Zeitraum musste der Staat Kapitalerhöhungen im Ausmass von rund hundertdreissig Millionen Schweizer Franken finanzieren. Ausserdem haftet der Staat für die Verpflichtungen der Landesbank. Bei einer Bilanzsumme von über sechseinhalb Milliarden Schweizer Franken und bei knapp dreissigtausend Einwohnern haftet letzten Endes jeder Einwohner mit über zweihunderttausend Franken für die Verpflichtungen der Landesbank. Es kommt hinzu, dass die Landesbank weitestgehend von Steuern befreit ist.Rechnet man nun diese Steuern über die vergangenen zwanzig Jahre zusammen, welche die Bank in Liechtenstein an den Staat abgeliefert hat, so sind das rund fünfündsiebzig Millionen Schweizer Franken. Wieviel Steuern die Verwaltungs-und Privat-Bank in diesem Zeitraum an den Staat abgeliefert hat, ist mir nicht bekannt. Ich nehme aber an, dass der Staat von den beiden Privatbanken wesentlich mehr an Steuern eingenommen hat als aus der Beteiligung bei der Landesbank. Für den Staat bedeuten diese Einnahmen zum Unterschied der Zahlungen der Landesbank Nettoeinnahmen ohne Risiko. Der Staat haftet weder für die Verpflichtungen dieser zwei Banken, noch muss er irgendwelche Kapitalaufstockungen finanzieren. Die vorteilhafteste Lösung für den Staat wäre zweifellos die volle Privatisierung der Landesbank unter Verzicht auf jede weitere Haftung. Die geplante Teilprivatisierung ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung.Ein weiteres Beispiel, bei dem die Einführung der Marktwirtschaft und eine Privatisierung für den Staat und die liechtensteinische Volkswirtschaft von Vorteil wäre, ist der gesamte Postbereich. Die hohen Investitionen im Postbereich belasten den Staatshaushalt. Obwohl Vergleichszahlen wie im Bankensektor fehlen, kann man davon ausgehen, dass eine Privatisierung sowohl den Staat finanziell und personell entlastet als auch zusätzliche Steuereinnahmen schafft. Es kommt hinzu, dass ein staatlicher Monopolbetrieb keine besondere Quelle der Effizienz und Innovation ist. Für eine moderne Volkswirtschaft ist aber ein effizienter und innovativer Kommunikationssektor von grosser Bedeutung.In einem ersten Schritt sollte zumindestens das staatliche Monopol im Postbereich aufgehoben werden. Die moderne Technik bietet interessante Alternativen zur bestehenden Post. Beispiele im Ausland zeigen, dass Transportsysteme für Pakete oder mobile Telefonsysteme ebensogut von privaten Gesellschaften errichtet und betrieben werden können und sich steigender Beliebtheit erfreuen. Nicht nur die Post besitzt in unserem Land ein ausgebautes Netz, welches mit Hilfe der Elektronik grosse Mengen an Informationen transportiert, sondern auch die liechtensteinische Gemeinschaftsantenne, welche über Kabel Fernsehprogramme in die meisten Haushalte überträgt. Technisch sollte es nicht allzu schwer sein, dieses Netz so auszubauen, dass es das bestehende Telefonnetz der Post konkurrenzieren kann.Mit dem Postmonopol ist das staatliche Rundfunkmonopol verbunden. Auch hier scheint mir eine liberale Lösung, welche die Konkurrenz verschiedenster Sender und Programmangebote ermöglicht, die sinnvollste Lösung. Die Einnahmen aus den Rundfunkgebühren könnte der Staat dazu benützen, die technische Infrastruktur zu erstellen und diese dann gegen eine bescheidene Gebühr den interessierten Gruppen zur Verfügung zu stellen. Alleine im UKW-Bereich besitzt Liechtenstein fünf Frequenzen und ein Vielfaches dessen an Radio- und Fernsehprogrammen könnte über das vorhandene Kabelnetz verbreitet werden.Es liesse sich noch eine Reihe von Beispielen aufzählen, in denen mehr Markt und weniger Staat sinnvoll wäre. Wir sollten uns deshalb in den nächsten Jahren zum Ziel setzen, alle Bereiche, in denen der Staat tätig ist, dahingehend zu untersuchen, ob sie nicht durch mehr Privatinitiative ersetzt werden können. Nur so werden wir den Staat von seinen vielfältigen Aufgaben entlasten, die ihn immer näher an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit bringen.In einer Volksabstimmung wurde bekanntlich die allgemeine Einkommenssteuer massiv abgelehnt. Es waren viele Gründe für diese Ablehnung ausschlaggebend, aber ein Grund ist sicher die Kompliziertheit einer allgemeinen Einkommenssteuer. Wie ich bereits 1986 in meiner Landtagsrede dargelegt habe, zeigen die Erfahrungen in anderen Ländern, dass die allgemeine Einkommenssteuer in der Praxis oft mehr Ungerechtigkeiten schafft als beseitigt.Falls nach wie vor in der Bevölkerung der Wunsch nach einer umfassenden Steuerreform besteht, sollten Regierung und Landtag zuerst verschiedene Alternativen näher untersuchen. Vor einigen Jahren habe ich von Fachleuten eine solche Alternative ausarbeiten lassen und der Regierung übergeben. Dieser Vorschlag wurde dann nicht mehr berücksichtigt, weil die Planung an der allgemeinen Einkommenssteuer bereits schon weit vorangeschritten war.Um das Steuersystem zu verbessern, brauchen wir aber nicht unbedingt eine umfassende Reform. Auch beim heutigen System lassen sich sinnvolle Verbesserungen anbringen.Für einen Teil unserer Bevölkerung sind die hohen Bodenpreise ein zentrales Problem. An dieser Situation ist die heutige Besteuerung nicht unschuldig. Es heisst, dass die bestehenden Bauzonen bereits Platz bieten für eine Wohnbevölkerung von rund hundertzwanzigtausend Einwohnern. Nachdem wir aber nur ein Viertel dieser Bevölkerung haben, müssten nach den Gesetzen des Marktes ausreichend Bauplätze zu niedrigen Preisen verfügbar sein. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall.In der Vergangenheit wurde von verschiedenen Seiten immer wieder den Spekulanten die Schuld an den hohen Bodenpreisen in die Schuhe geschoben. Um die Bodenspekulation zu verhindern, wurde der Erlös aus Grundstücksverkäufen für liechtensteinische Verhältnisse ausserordentlich hoch besteuert. Der Erfolg dieser Massnahme ist, dass noch weniger Grundstücke auf den Markt kommen und der Verkäufer versucht, die Steuer auf den Verkaufspreis zu schlagen, was unweigerlich zu höheren Grundstückspreisen führt.Noch preistreibender ist wahrscheinlich die starke steuerliche Begünstigung der Vermögensanlage in Grund und Boden, wenn man dies mit anderen Anlagemöglichkeiten vergleicht. In der Regel wird die Vermögenssteuer von den Verkehrswerten erhoben, bei Grund und Boden dagegen zu historischen Werten, die nur einen Bruchteil des Verkehrswertes betragen und deshalb so gut wie keine steuerliche Belastung bedeuten.Falls wirklich günstige Grundstückspreise gewünscht werden, müsste die Grundstücks-Gewinnsteuer abgeschafft und der Baugrund zu Verkehrswerten besteuert werden. Selbstverständlich könnte im Gesetz für jeden einzelnen eine gewisse Freigrenze an Baugrund festgelegt werden, unter der wie bisher praktisch keine Besteuerung anfällt. Umgekehrt wäre es denkbar, dass, falls jemand mehr als eine gewisse Fläche an Baugrund besitzt, zur normalen Vermögenssteuer noch gewisse Zuschläge eingehoben werden. Anstatt der bestehenden Bevorteilung gegenüber anderen Vermögenswerten würde ab einer gewissen Zahl von Bauplätzen eine steuerliche Zusatzbelastung erfolgen. Für grössere Grundbesitzer ist es dann vorteilhafter, einen Teil ihrer Bauplätze zu verkaufen und andere Geldanlagen zu suchen, die volkswirtschaftlich oft auch produktiver sind.Die Angst vor einer höheren steuerlichen Belastung des Grund und Bodens war auch ein Grund für die hohe Ablehnung der Steuerreform in der Volksabstimmung. Nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung wird durch die hohen Grundstückspreise direkt betroffen. Es sind hauptsächlich junge Familien, die kein Grundstück von ihren Eltern erben. An die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner möchte ich heute appellieren, auch auf diese jungen Familien Rücksicht zu nehmen.So eine beschränkte Steuerreform würde für die meisten keine Änderung bedeuten. Wer aber eine grössere Zahl von Grundstücken in der Bauzone besitzt, dem kann eine steuerliche Zusatzbelastung zugemutet werden. Langfristig profitiert vielleicht selbst dieser Personenkreis von der vorgeschlagenen Steuerreform. Die Entwicklung in anderen Ländern zeigt, dass Grundstückspreise nicht nur steigen, sondern auch fallen können, so dass eine Umverteilung des Vermögens weg von ertragslosen Grundstücken in andere Anlagemöglichkeiten vorteilhaft wäre.Ich darf Sie bitten, das Schicksal jener jungen Familien nicht zu vergessen, die sich wegen der hohen Grundstückskosten kein eigenes Heim leisten können. Auch wenn Steuerreformen in Liechtenstein unpopulär sind, sollten wir gemeinsam versuchen, die Mehrheit unseres Volkes zu überzeugen, wenigstens in diesem Bereich notwendigen Massnahmen zuzustimmen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für die kommende Legislaturperiode viel Erfolg und Gottes Segen.