01. März 2012
Thronrede, Erbprinz Alois
ANSPRACHE
SEINER DURCHLAUCHT ERBPRINZ ALOIS VON UND ZU LIECHTENSTEIN
ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNG DES LANDTAGES
AM 1. MÄRZ 2012
Wir befinden uns in einer Zeit grosser Herausforderungen. Europa erlebt die grösste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Als wirtschaftlich stark in Europa integrierter Kleinstaat können wir uns leider nicht den Auswirkungen der Krise entziehen. Gleichzeitig sind wir immer noch durch die Transformation unseres Finanzplatzes gefordert. All dies führt nicht nur zu einem Gewinnrückgang bei vielen unserer Unternehmen, sondern auch zu einem Rückgang der Staatseinnahmen.Die internationale Wirtschaftslage können wir nicht ändern, aber die Transformation des Finanzplatzes sollten wir in enger Abstimmung zwischen Staat und Wirtschaft zügig vorantreiben und die bereits letztes Jahr von mir angesprochenen strukturellen Probleme beim Staatshaushalt möglichst rasch durch entsprechende Strukturreformen beseitigen. Auch wenn in weniger als einem Jahr die nächsten Wahlen anstehen, sollten wir dennoch die restliche Zeit der Legislaturperiode für grundlegende Reformen nutzen.Die Regierung hat daher bereits angekündigt, dass ein zweites Sparpaket nötig sein wird. Dieses wird naturgemäss schmerzlicher sein als das erste. Allerdings sollten beispielsweise bei den Gemeinden und beim Gesundheitswesen erhebliche Einsparungen möglich sein, die uns auf das immer noch grosszügige Schweizer Niveau bringen würden.Vorschnelle Steuererhöhungen können hingegen für den Standort sehr schädlich und für uns damit langfristig viel schmerzlicher sein. Sie würden die Attraktivität der Rahmenbedingungen des Landes beeinträchtigen, welche für die Nachhaltigkeit der Staatseinnahmen letztlich entscheidend sind. Unsere Staatsausgaben können wir auf Dauer nur finanzieren, wenn die Staatseinnahmen entsprechend fliessen. Steuererhöhungen sollten deshalb das letzte Mittel sein. Das bedeutet aber nicht, dass wir nach den ersten Erfahrungen mit dem neuen Steuersystem uns keine Gedanken machen dürfen, wie wir dieses aufkommensneutral seinen Leitprinzipien entsprechend weiter verbessern können. Man kann sich beispielsweise fragen, ob die Nichtbesteuerung von Mieteinnahmen systemkonform ist, oder, ob es sinnvoll ist, einen Eigenkapitalzinsabzug weit über der derzeitigen Markthöhe zu gewähren, nur weil er mit dem Sollertrag der eigentlich systemwidrigen Vermögenssteuer verbunden wurde.Eine grundlegende Strukturreform ist auch die Regierungs- und Verwaltungsreform. Wir dürfen uns von ihr zwar keine grossen Einsparungen bei den Staatsausgaben erwarten, sie wird aber eine gute Basis für die künftige Arbeit der Regierung und Verwaltung bilden. Ich habe mich daher gefreut, dass sich die beiden Regierungsparteien auf einen Reformvorschlag einigen konnten. Bei den beiden längsten Diskussionspunkten über mehr Flexibilität oder mehr Kontinuität dürfte ein guter Kompromiss erzielt worden sein. Ganz entscheidend wird aber auch sein, geeignete Auswahlprozesse zur Besetzung der Verwaltungsposten zu finden. Wir brauchen für die jeweiligen Aufgaben die besten Leute. Rein parteipolitisch motivierte Besetzungen schaden meiner Erfahrung nach nicht nur dem Land, sondern meist bald auch dem betroffenen Regierungsmitglied und seiner Partei selbst.Wenn es gelingt, die Regierungs- und Verwaltungsreform rechtzeitig zu verabschieden, stärken wir auch die nächste Regierung. Dies wird nötig sein, denn die Herausforderungen für die nächste Regierung werden nicht kleiner. Viele Strukturreformen, die eine nachhaltige Entlastung des Staatshaushaltes bringen können, lassen sich zwar in dieser Legislaturperiode vorbereiten, aber vermutlich kaum mehr umsetzen. Der Landtag kann diesen Prozess jedoch erleichtern, indem er sich klar für die Notwendigkeit von Strukturreformen ausspricht.Im Kontext der Regierungs- und Verwaltungsreform sollten wir uns auch die Frage stellen, was heute alles Staatsaufgaben sind und wer im Staat diese auf welche Weise am besten wahrnimmt? Vor allem durch die wirtschaftlichen, technologischen und internationalen Entwicklungen werden wir gezwungen, uns diese Frage immer wieder neu zu stellen. War beispielsweise bis zum Aufkommen des Autos eine Regelung des Strassenverkehrs kaum nötig, ist dies heute ohne erheblichen Aufwand auf Seiten des Staates kaum möglich. In jüngster Zeit ist eine ähnliche Entwicklung im Bereich der Finanzwelt zu beobachten. Wollen wir einen funktionierenden Finanzplatz erhalten und weiter ausbauen, werden wir uns dem internationalen Trend nicht entziehen können und uns dessen Regulierung mehr kosten lassen müssen. Natürlich sollten wir dabei Fehler und unnötige Ausgaben anderer Staaten in diesem Bereich nicht kopieren.Andererseits finden sich auch Entwicklungen, die in die umgekehrte Richtung wirken können. Kein Staat sollte zum Beispiel heute mehr selbst eine eigene Telefongesellschaft betreiben, sondern das Telefongeschäft den Privaten überlassen und sich darauf beschränken, dieses klug zu regulieren. Vor allem dort, wo es mittlerweile einen funktionierenden Markt an privaten Anbietern gibt, sollten wir uns überlegen, ob der Staat noch selbst als Anbieter auftreten muss, oder, ob es nicht besser ist, wenn er nur noch reguliert und gegebenenfalls auch noch finanziert. Der Staat nimmt dann die Staatsaufgabe als Gewährleistungsaufgabe wahr und tritt – wenn überhaupt - nur noch subsidiär zu den Privaten selbst als Anbieter auf. Durch den Wettbewerb der Privaten können so Effizienzgewinne und bessere Dienstleistungen zum Vorteil aller erreicht werden. Auch zwischen Land und Gemeinden sollten wir uns immer wieder fragen, welche Aufgaben auf welcher Ebene besser wahrgenommen werden. Wir sind zwar ein kleines Land, jedoch sollten selbst wir vermeintliche Skalenvorteile zentraler Aufgabenwahrnehmung durch das Land nicht überschätzen und Vorteile von lokalem Wissen sowie Wettbewerb unter den Gemeinden nicht unterschätzen. Im Vordergrund sollten Bürgernähe und Qualität der staatlichen Dienstleistung stehen.Sehr geehrte LandtagsabgeordneteDemnächst werden Sie auch über eine Initiative entscheiden müssen, die das Sanktionsrecht des Landesfürsten einschränken möchte. Da ich als Stellvertreter des Fürsten mit der Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsrechte betraut bin, halte ich es für angebracht, Sie vor Ihrer Entscheidungsfindung direkt zu informieren, warum das Fürstenhaus diesen Vorschlag ablehnt. Unsere heutige Staatsform wird vielfach als Dualismus bezeichnet, weil gemäss Artikel 2 die Staatsgewalt gleichzeitig im Fürsten und im Volke verankert ist. Das bedeutet, dass Fürst und Volk zum Wohle des Landes zusammenwirken müssen. Weder der Fürst noch das Volk können ohne die Zustimmung des jeweils anderen das Land in eine bestimmte Richtung lenken und grundlegende Schritte setzen. Diese Staatsform des Dualismus hat sich seit seiner Einführung 1921 bewährt und ist mit vielen Vorteilen verbunden, insbesondere einer grossen politische Stabilität, einer hohen Kontinuität in der Regierungsführung und einer einzigartigen Identität.Mit der Verfassungsreform von 2003 wurde der Dualismus beibehalten und von einer grossen Mehrheit des Volkes bestätigt. Für den Fall, dass sich das Fürstenhaus und das Volk einmal auseinanderleben und das Volk den Dualismus aufgeben möchte, wurde aber neu eine Bestimmung aufgenommen, durch die die Verfassung auch ohne Zustimmung des Fürsten geändert werden kann. Der Dualismus würde aber bereits durch die vorliegende Initiative zur Abänderung des Sanktionsrechts abgeschafft werden. Auch wenn die Umstellung auf ein aufschiebendes Veto des Fürsten auf den ersten Moment nur als eine kleine Änderung erscheinen mag, würde sie unser bisher so erfolgreiches Staatsgefüge entscheidend ändern. In Zukunft müssten Fürst und Volk nämlich nicht mehr zusammenwirken. Der Fürst würde ein wichtiges politisches Instrument verlieren, das aus Sicht des Fürstenhauses notwendig ist, damit es die politische Verantwortung für das Amt des Staatsoberhauptes übernimmt. Mit anderen Worten: das Fürstenhaus ist nur dann bereit, politische Verantwortung zu übernehmen, wenn der Fürst auch die aus Sicht des Fürstenhauses dafür nötigen politischen Instrumente hat.Wenn das Volk dies aber nicht mehr will, dann möchte das Fürstenhaus auch keine politische Verantwortung mehr übernehmen und sich mit einem klaren Schnitt gänzlich aus dem politischen Leben in Liechtenstein zurückziehen. Denn der Name Liechtenstein ist zu eng mit dem Fürstenhaus verbunden, als dass nicht auch weiterhin das Fürstenhaus mit der Politik Liechtensteins in Verbindung gebracht würde. Als Feigenblatt einer nicht mehr vom Fürstenhaus getragenen Politik möchte das Fürstenhaus aber nicht dienen. Solange das Volk jedoch die jetzige Staatsform des Dualismus beibehält, wird sich das Fürstenhaus nach bestem Wissen und Gewissen für die Geschicke des Landes einsetzen.Sehr geehrte LandtagsabgeordneteIn den nächsten Monaten werden Sie neben den bereits angesprochenen, weitere für die Zukunft unseres Landes grundlegende Entscheidungen treffen müssen, wie über die Entflechtung von Kirche und Staat und über eine wirkliche Hilfe für Frauen in Schwangerschaftskonflikten. Ich wünsche Ihnen bei all diesen Entscheidungen viel Weisheit und Gottes Segen.