Thronreden

14. März 1990

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 14. März 1990



Im Jahre 1989 ist mit dem Tod meines geliebten Vaters, Fürst Franz Josef II. ein wichtiger Abschnitt der Liechtensteinischen Geschichte zu Ende gegangen. Er war der erste Fürst, der seinen Wohnsitz ins Land verlegte und das in einer Zeit, als die Existenz des Fürstentums ernsthaft bedroht war. Fürst Franz Josef ist es mit Unterstützung patriotisch gesinnter Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner gelungen, die drohenden Gefahren abzuwenden. Allerdings ohne die Hilfe der Schweiz und deren Willen, die eigene Unabhängigkeit auch militärisch zu verteidigen, wäre Liechtenstein ziemlich sicher ebenfalls ein Opfer des Zweiten Weltkrieges geworden. Fürst Franz Josef und Fürstin Gina widmeten sich nach dem Krieg den wirtschaftlichen und sozialen Problemen dieses Landes. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass das liechtensteinische Volk heute in Wohlstand und ohne grössere soziale Probleme lebt.

1989 war nicht nur für Liechtenstein, sondern für ganz Europa das Ende eines wichtigen Geschichtsabschnittes. Die Ordnung der Nachkriegszeit, die Zweiteilung Europas, ist praktisch zusammengebrochen. Über den Osten Europas - mit dem meine Eltern so eng verbunden waren - geht die Sonne der Freiheit auf. Der ganze Kontinent ist von neuein Optimismus erfasst, und die Möglichkeit einer umfassenden Abrüstung erweckt verschiedenste Hoffnungen.

Wir dürfen aber nicht übersehen, dass der Zusammenbruch der europäischen Nachkriegsordnung auch erhebliche Unsicherheiten bringt. Die Teilung Europas - so bitter diese besonders für den Osten war - hat diesem Kontinent die längste Friedensperiode seit dem Untergang des Römischen Reiches geschenkt.

Die Frage stellt sich für uns in Liechtenstein, die wir im Herzen Europas liegen: Gelingt es den europäischen Politikern, eine neue Friedens Ordnung zu finden, oder fällt dieser Kontinent wieder in seinen Normalzustand zurück, in dem er sich vom Untergang des Römischen Reiches bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges befand? Dies waren unruhige kriegerische Zeiten, in denen sich die politische Landkarte Europas ständig veränderte, wobei viele Staaten entstanden und wieder verschwunden sind. Von den vielen Staaten des Heiligen Römischen Reiches hat nur das kleine Liechtenstein überlebt.

Was auch immer das Ergebnis der rasanten politischen Entwicklung sein wird, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, für unser kleines Land wird eine kluge Aussenpolitik noch wichtiger sein als in den vergangenen 45 Jahren. Ein Kleinstaat, der seine Unabhängigkeit nicht militärisch verteidigen kann, muss versuchen, diese rechtlich so gut als möglich abzusichern, um seiner Aussenpolitik eine stabile Grundlage zu geben. Der Landtag hat in seiner letzten Sitzung im Jahre 1989 mit seinem einstimmigen Beschluss für eine Vollmitgliedschaft Liechtensteins bei den Vereinten Nationen eine historische Entscheidung getroffen. Die politische Souveränität unseres Landes wird durch diese Mitgliedschaft zum ersten Mal weltweit anerkannt. Dem Landtag und der Regierung möchte ich für diese eindeutige und mutige Entscheidung danken.

Im Vordergrund des aussenpolitischen Interesses der Öffentlichkeit stehen die Verhandlungen der EFTA-Länder mit der EG. Derzeit ist es noch nicht möglich vorauszusagen, was das Ergebnis dieser Verhandlungen im einzelnen sein wird. Die Haltung der einzelnen EFTA-Staaten ist sehr unterschiedlich. Einige sehen diese Verhandlungen als Vorstufe zu einer vollen EG-Mitgliedschaft, andere wollen sich ein grösseres Mitspracherecht sichern bei der Gestaltung des von der EG dominierten europäischen Wirtschaftsraumes.

Wie ich bei meiner letzten Landtagsrede ausführte, wird für Liechtenstein aus innen- und aussenpolitischen Gründen eine Vollmitgliedschaft bei der heutigen Struktur der EG kaum möglich sein. Als Kleinstaat müssen wir auf dem Boden der Realität bleiben. Zum Unterschied der EFTA-Staaten kann es nicht unser Ziel sein, politischen Einfluss auf die Gestaltung des europäischen Wirtschaftsraumes zu nehmen. Wichtig für unser Land ist die Erhaltung des freien Handels im bisherigen Umfang. Unsere Wirtschaft hat bewiesen, dass sie unter den herrschenden Bedingungen sehr wohl konkurrenzfähig ist. Ein noch umfassenderes Wirtschaftsabkommen mit der EG wäre aber sicher wünschenswert.

Wichtig für die EG sind die sogenannten vier Freiheiten: Die Freizügigkeit der Waren, der Dienstleistungen, des Kapitals und der Personen. Es liegt im Interesse unseres Landes, die ersten drei Freiheiten voll zu verwirklichen. Die Freizügigkeit der Personen stellt uns jedoch vor grosse innenpolitische Probleme. Die EFTA-Staaten sind von diesem Problem weniger betroffen als Liechtenstein. Selbst die Schweiz ist in dieser Frage grosszügiger als wir.

Deshalb können wir nicht ausschliessen, dass die Verhandlungen zwischen der EG und den EFTA-Ländern zu einem Ergebnis kommen, welches für Liechtenstein mit Nachteilen verbunden ist. Ich glaube aber, dass die EG Verständnis für einen Kleinstaat wie Liechtenstein haben wird, der bei der Freizügigkeit der Personen weniger weit gehen kann als ein grosser Staat. Wenig Verständnis wird man aber haben, wenn wir die ausländischen Arbeitskräfte, die wir hereinlassen, sehr viel schlechter stellen als die eigenen Bürgerinnen und Bürger. Als unmenschlich und unserer christlichen Tradition nicht angemessen empfinden viele Ausländer unsere Praxis, sie oft jahrelang von ihren Familien zu trennen. Dass wir gewisse Berufe nur für liechtensteinische Staatsbürger reservieren, erscheint mir ebenfalls problematisch.

Als Kleinstaat müssen wir ein existenzielles Interesse haben an der Freizügigkeit der Waren, der Dienstleistungen und des Kapitals. Ohne Exporte und Importe würde unser Staat auf das Niveau eines primitiven Agrarstaates zurückfallen, der nur einen kleinen Teil seiner Bevölkerung ernähren könnte. Es gibt immer wieder Personen, die aus nationalistischen oder anderen Motiven die Meinung vertreten, die Freizügigkeit in diesen drei Bereichen sollte eingeschränkt werden. Die Länder Osteuropas haben über Jahrzehnte eine solche nationalistische von der Weltwirtschaft isolierte Politik verfolgt. Für die Bevölkerung der betroffenen Länder war dies mit grossen Nachteilen verbunden. Mit Ausnahme von Albanien setzt sich in Europa die Erkenntnis durch, dass im Interesse der Bevölkerung die Wirtschaftspolitik liberalisiert werden muss, und dass ausländisches Kapital die Möglichkeit haben soll, sich an inländischen Unternehmen mehrheitlich zu beteiligen.

Der Entwurf der Regierung zum neuen liechtensteinischen Gewerbegesetz sieht vor, dass entgegen dem Trend in ganz Europa eine mehrheitlich ausländische Beteiligung an Gewerbebetrieben grundsätzlich verboten werden soll. Es soll damit eine kapitalmässige Überfremdung der liechtensteinischen Wirtschaft verhindert werden. Betrachtet man die Situation etwas genauer, so liegt der Verdacht nahe, dass nicht patriotische Motive ausschlaggebend waren, sondern der Wunsch, eine lästige Konkurrenz am Arbeitsmarkt auszuschalten. Dies bringt zwar einigen Unternehmen finanzielle Vorteile, für die liechtensteinische Bevölkerung ist so eine Politik mit Nachteilen verbunden. Die starke Konkurrenz am Arbeitsmarkt hat der liechtensteinischen Bevölkerung die höchsten Löhne und Gehälter in Europa beschert und sie vor Arbeitslosigkeit geschützt.

Durch solche nationalistische Bestimmungen droht noch eine andere Gefahr, die man offensichtlich übersehen hat. International wendet man häufig das Prinzip der Gegenseitigkeit an. Konkret bedeutet dies, dass, wenn wir in Liechtenstein ausländische Mehrheitsbeteiligungen an Gewerbebetrieben verbieten, eines Tages liechtensteinische Mehrheitsbeteiligungen an Gewerbebetrieben in anderen Ländern oder zum Beispiel in der gesamten EG nicht mehr gestattet sein werden. Liechtensteinische Unternehmen, die weiterhin noch Tochtergesellschaften im Ausland besitzen wollen, werden dann wohl ihren Sitz ins Ausland verlegen müssen.

Auf Kritik im Ausland stösst auch die Tatsache, dass Liechtenstein keine neuen Banken zulässt. Sollen denn die drei liechtensteinischen Banken vor jeder Konkurrenz geschützt werden? Missbräuche auf dem Bankensektor lassen sich auch verhindern, indem der Bankenkommission ausreichende Kontrollmöglichkeiten eingeräumt werden und ein hohes Eigenkapital vorgeschrieben wird.

Der Erfolg Liechtensteins in der Nachkriegszeit ist nicht zuletzt auf eine liberale weltoffene Wirtschaftspolitik zurückzuführen. In der Zwischenzeit ist fast ganz Europa von der Richtigkeit einer solchen Politik überzeugt. Wenn man weis s, was für wertvolle Impulse die liechtensteinische Wirtschaft durch ausländisches Kapital besonders aus der Schweiz erfahren hat, wird man im Ausland für ein so einschränkendes Gesetz wohl wenig Verständnis haben. Ich sehe es als meine Pflicht an, nach bestem Wissen und Gewissen mich für das Wohl der liechtensteinischen Bevölkerung einzusetzen. Aus diesem Grund werde ich mich auch in Zukunft für eine weltoffene liberale Wirtschaftspolitik einsetzen.

Ich weiss, dass Ihnen, so wie mir, das Wohl der liechtensteinischen Bevölkerung am Herzen liegt. Die europäische Entwicklung wird uns in absehbarer Zukunft sicher stark beanspruchen, und es wird nicht leicht sein, die für die liechtensteinische Bevölkerung beste Lösung zu finden. Gemeinsam und mit Gottes Hilfe sollte uns dies möglich sein, und ich wünsche Ihnen für die kommende Sitzungsperiode viel Erfolg.