12. November 1957
Thronrede, Fürst Franz Josef II.
Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages
am 12. November 1957
Die politischen Differenzen, die nach den letzten Landtagswahlen entstanden sind und in der Presse ihren Ausdruck in einer Form finden, die unser Ansehen schädigt, erfüllen mich mit Sorge.Ein Andauern dieser politischen Lage oder gar noch ihre Verschärfung können meiner Überzeugung nach schwerwiegende Folgen für unser Land haben, in dessen Interesse einzig eine loyale Zusammenarbeit der Parteien liegt Die verschiedene Auslegung der bestehenden Gesetze über das Wahlrecht und Wahlverfahren scheint mit die Ursache der gegenwärtigen Krise zu sein. Es besteht aber die Gefahr, dass bei Neuwahlen unter Geltung der bestehenden Wahlvorschriften sich ein Gleiches wiederholt Ich möchte deshalb den dringenden Wunsch äussern, dass die aus der Neuwahl vom 1. September 1957 hervorgegangenen Abgeordneten die ihnen durch die Verfassung auferlegten Pflichten getreu ihrem zu leistenden Eide und ihrer Überzeugung erfüllen. Als eine dringliche Aufgabe des neuen Landtages betrachte ich gerade die Schaffung eines klaren Wahl- und Wahlverfahrensgesetzes, das divergierenden Auslegungen keinen Raum mehr lässt So wie ich es vor einigen Tagen den Herren der beiden Parteien sagte, ist eine Auflösung des Landtages, bevor diese Voraussetzungen geschaffen sind, zwecklos und sollte daher von mir nicht erwartet werden. Es kann nicht der Sinn einer Verfassung sein, die sich demokratisch nennt, dass der Fürst aufgerufen wird zu intervenieren, weil die Vertreter des Volkes im Landtag infolge parteipolitischer Meinungsverschiedenheiten nicht zusammenarbeiten wollen. Es wäre ein Verdienst der Parteien, wenn sie sich ungesäumt der oben genannten Aufgabe zuwenden, anstatt weiter über die Auslegung eines revisionsbedürftigen Gesetzes zu streiten. Der gemeinsame Wille, die Ursache der heutigen Krise zu beseitigen, sollte auch die Krise selbst zu überwinden vermögen.Mein eindringlicher Appell an das Verantwortungsbewusstsein aller Abgeordneten geht deshalb zusammenfassend dahin,1. die Arbeit im Landtage ehestens zu beginnen;2. die Regierung neu zu bestellen;3. ein klares Wahl- und Wahlverfahrensgesetz zu schaffen und dann,4. wenn ein Bedürfnis dazu besteht, auf dem gesetzmässigen Wege Neuwahlen durchzuführen.Ich fordere Sie nachdrücklich auf, diesem meinem Wunsche nachzukommen, der ausschliesslich von der Sorge um das Wohl des Landes diktiert ist.